Die Türkei hat erneut das Erdgas-Forschungsschiff «Oruc Reis» in umstrittene Gewässer nahe einer griechischen Insel entsandt. Der deutsche Aussenminister Heiko Maas sagte darauf einen Türkei-Besuch ab und reist stattdessen nach Zypern und Griechenland.
SRF News: Ist das eine neue Eskalation im Gasstreit?
Thomas Seibert: Nach einer gewissen Entspannung in den letzten Wochen geht es tatsächlich wieder rund. Der türkische Verteidigungsminister drohte erneut mit der Entsendung von Kriegsschiffen ins umstrittene Gebiet. Griechenland sieht sich bedroht.
Die «Oruc Reis» wird südlich der griechischen Insel Kastelorizo unterwegs sein. Zufall?
Nein. Die Insel wird von der Türkei immer als klassisches Beispiel für die überzogenen Gebietsforderungen Griechenlands angeführt. Sie ist nur zwei Kilometer vom türkischen Festland entfernt, aber fast 600 Kilometer vom griechischen. Dennoch beanspruche Griechenland eine sehr grosse Seefläche um die Insel herum und wolle die Türkei quasi vor der eigenen Küste einmauern, kritisiert Ankara. Das Forschungsschiff ist also ein ganz klares Signal.
Das Forschungsschiff vor der Insel ist ein ganz klares Signal.
Was ist aus den Signalen der Entspannung und der türkischen Gesprächsbereitschaft geworden?
Es scheint, dass die Schritte der Türkei ein taktisches Manöver waren, um Sanktionen der EU zu vermeiden. Solche forderten Griechenland und Zypern am EU-Gipfel Anfang Oktober. Insbesondere Deutschland stellte sich dagegen und setzte auf den Verhandlungsweg.
Der deutsche Aussenminister Heiko Maas besucht ab heute Athen und Nikosia statt die Türkei. Wie kommt das in der Türkei an?
Die türkische Regierung kommentiert das noch nicht offiziell. Die Absage von Maas ist aber sehr ungut für die türkische Position. Denn Deutschland wurde im Grunde als Partner in der EU angesehen, um Sanktionen verhindern zu können. Wenn jetzt auch Berlin aus Verärgerung über die neue Entsendung des Forschungsschiffs aussteigt, verliert Ankara diesen Partner. Frankreich ist klar auf anti-türkischer Seite, Grossbritannien nicht mehr in der EU.
Die EU wollte bisher verhandeln statt sanktionieren, wohl auch wegen der Bedeutung der Türkei in der Flüchtlingsfrage. Befürchtet man in der Türkei jetzt Sanktionen?
Der Druck in der EU hin zu Sanktionen nimmt auf jeden Fall zu. Das dürfte auch die türkische Seite so sehen. Griechenland sieht sich in seiner Forderung nach Sanktionen bestätigt, und auch Frankreich hat sich sehr negativ über die Türkei geäussert.
Was den Trumpf in der Flüchtlingsfrage betrifft, so hat die Türkei bereits im März mit der vorübergehenden Öffnung der Landgrenze zu Griechenland bewiesen, das sie zu rabiaten Schritten bereit ist. Ob die Regierung das nochmals versucht, ist offen. Aber die Verbindung zwischen Flüchtlingen und Gasstreit wird wohl aufrechterhalten, um Gegendruck zu erzeugen.
Die Türkei hat bereits bewiesen, dass sie zu rabiaten Schritten bereit ist.
Im Sommer entsandten Griechenland und die Türkei Kriegsschiffe in die Erdgasregion. Wie gross ist die Gefahr einer militärischen Eskalation?
Weder die Griechen noch die Türken sind wohl ernsthaft an einem militärischen Zusammenstoss interessiert. Beide Seiten spielen innenpolitisch aber den harten Mann beim hochemotionalen Thema. Es besteht allerdings die Gefahr einer unabsichtlichen Eskalation. Im Sommer kollidierten zwei Kriegsschiffe der beiden Länder in diesen Gewässern. Wenn das nochmals passiert, könnte es umschlagen.
Das Gespräch führte Claudia Weber.