Anfang Mai befanden sich rund eine Million Palästinenserinnen und Palästinenser in Rafah, inzwischen sind fast alle in ein westlich gelegenes Gebiet geflüchtet. Dort können sie aber nur schwierig versorgt werden, weil immer noch zu wenig Hilfsgüter in den Gazastreifen gelangen. Die freie Journalistin Inga Rogg berichtet, wie schwierig es ist, überhaupt Güter in den Gazastreifen zu bringen.
SRF News: Wie funktionieren die Transportwege auf dem Land in den Gazastreifen mittlerweile?
Inga Rogg: Der Grenzübergang nach Ägypten bei Rafah ist seit dem 7. Mai dicht. Der wichtigste Übergang zurzeit ist Kerem Shalom. Es gibt noch weitere Übergänge im Norden des Gazastreifens. In Kerem Shalom stauen sich die LKWs. Es gibt Bilder, dass da Hunderte LKWs feststecken.
Die Inspektionen sind zum Teil schwierig. Wenn Hilfslieferungen durchkommen, berichten UNO-Mitarbeiter immer wieder, dass sie an Checkpoints stundenlang festgehalten werden, dass Güter, die davor schon von der israelischen Armee inspiziert und gebilligt wurden, dann doch nicht durchgelassen werden. Die LKWs werden wieder zurückgeschickt, werden neu beladen und müssen neu inspiziert werden.
Die Polizei, die es mal im Gazastreifen gab, hat sich aufgelöst, nachdem vor ein paar Monaten mehrere Polizisten erschossen wurden.
Wie gut haben die Verantwortlichen die Sicherheit dieser Transporte im Griff?
Das ist vielleicht inzwischen das grösste Problem. In Rafah und in Khan Yunis leben viele Vertriebene in Notunterkünften. Dort herrsche das pure Chaos, berichten sowohl die UNO als auch Hilfsorganisation und Händler, die kommerzielle Güter in den Gazastreifen bringen. Die Lieferungen werden überfallen, beschossen, Fahrer geschlagen. Dann gibt es auch kaputte Strassen und Probleme, die Waren in die Lager zu bringen. Die Polizei, die es mal im Gazastreifen gab – sie wurde von der Hamas kontrolliert – hat sich mehr oder minder aufgelöst, nachdem vor ein paar Monaten mehrere Polizisten erschossen wurden. Es gibt niemanden, der für die Sicherheit der Konvois sorgt.
Netanjahu ist von Seiten seiner rechtsextremen Koalitionspartner unter Druck.
Wie schätzen Sie denn den politischen Willen für mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen seitens der israelischen Regierung ein?
Da gab es einen Streit zwischen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und der Armee. Die Armee hat für eine Strasse im Süden des Gazastreifens eine taktische Feuerpause bekannt gegeben. Elf Stunden pro Tag soll dort nicht gekämpft werden. Daraufhin sagte Netanjahu, das sei ohne sein Wissen passiert. Die Armee widersprach. Netanjahu ist von Seiten seiner rechtsextremen Koalitionspartner unter Druck. Sie lehnen jegliche Hilfslieferung in den Gazastreifen ab. Sie haben auf israelischer Seite auch Hilfslieferungen blockiert. Er steht auch von den Amerikanern und den Europäern unter Druck, mehr Hilfe in den Gazastreifen zu lassen.
Wie steht es um Hilfslieferungen in den Gazastreifen in nächster Zeit?
Wir sehen, dass tatsächlich ein bisschen mehr Hilfe hereingekommen ist. Nun gibt es auch diese taktische Feuerpause, die Hilfslieferungen erleichtern soll. Aber es muss noch viel mehr passieren. Es muss geregelt werden, dass die UNO genügend Benzin für die Lastwagen hat. Und es muss auch eine Regelung geben, wer im Gazastreifen für Sicherheit sorgt. Das sagte gestern der Sprecher der Armee deutlich: ‹Wir müssen schauen, wer die Macht nach der Hamas über übernimmt.› Die Hilfe wird für die Palästinenser im Gazastreifen prekär bleiben.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl.