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Kühles Schottland zieht Touristinnen und Touristen an
Aus 10 vor 10 vom 30.07.2024.
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Hitzefreie Trenddestination Baden in der kühlen Nordsee: Schottland ist das neue Spanien

Sommerferien am Mittelmeer sind für viele Familien ein Fixpunkt im Kalender – wenn nur die unerträgliche Hitze nicht wäre. Das macht die Nordsee zur attraktiven Alternative: Auch dort gibts Sandstrände – und in der Nacht schläft es sich besser.

David Climent Yarwood ist sich Hitze gewöhnt. Der 44-Jährige lebt seit Jahren an der spanischen Ostküste, in Benidorm. Er arbeitet als Zauberer im «Benidorm Palace», geht dort Abend für Abend durchs Feuer oder verwandelt Tauben in bezaubernd schöne Frauen. In seiner Freizeit spielt der gebürtige Brite liebend gerne Golf. Oder er würde gerne, wenn da die Sommerhitze nicht wäre: Die Temperaturen nähern sich regelmässig der 40-Grad-Grenze. Da ist nach zehn Uhr morgens nicht mehr ans Golfen zu denken.

Ein Mann mit blauem Hut und blauem Hemd bei einem Interview im Freien.
Legende: Golfferien verbringt David Climent Yarwood lieber in Schottland als in Spanien. SRF / Frederick Rotkopf

«Nun gönne ich mir eine Woche Golfferien in Schottland», sagt David Climent Yarwood und reibt sich dabei die Oberarme, um diese aufzuwärmen. Er steht im Polo-T-Shirt und in Shorts auf dem «Old Course», dem angeblich ältesten Golfplatz der Welt – in St Andrews, gut 80 Kilometer nordöstlich der schottischen Hauptstadt Edinburgh.

Clubhaus und Menschenmenge auf einem Golfplatz am Meer.
Legende: Golf-Fans reisen von weit her, um auf dem «Old Course» in St Andrews zu spielen. SRF / Frederick Rotkopf

Vom Meer her weht eine kühle Brise über den Golfplatz, der Himmel ist bedeckt, und es könnte jederzeit zu regnen beginnen. Die gefühlte Temperatur liegt bei 15 Grad. «Hier kann ich den ganzen Tag meine Passion ausleben», freut sich David Climent Yarwood. «Daheim in Benidorm ist das leider nicht mehr möglich.»

Schottland ist das neue Spanien

Sommerferien am Mittelmeer, das war einmal. Der Klimawandel lässt dort die Temperaturen von Mitte Juni bis Ende September regelmässig bei über 30 Grad Celsius verharren. Auch Temperaturen über 40 Grad sind keine Seltenheit mehr. Glücklich ist, wer es gerne heiss hat und wem es nichts ausmacht, von zehn Uhr morgens bis sechs Uhr nachmittags am Schatten zu sein, ohne sich zu bewegen.

Mann steht am Strand mit Meer im Hintergrund.
Legende: Philipp Junghans ist kein Fan des Mittelmeers. SRF / Frederick Rotkopf

«Temperaturen weit über 30 Grad sind nicht so mein Ding», sagt Philipp Junghans. Der Mathematikstudent aus Aarau zieht deshalb die Sommerfrische in Schottland dem heissen Mittelmeer vor. Zusammen mit seinem Bruder Nico vergnügt er sich im kühlen Meer. «Ich schätze die Wassertemperatur auf rund 16 Grad», sagt er. Gerade bricht die Sonne für kurze Zeit durch die Wolken.

Mann am Strand mit Rettungsbrett im Hintergrund.
Legende: Nico Junghans zieht es in den Sommerferien nicht an Orte, wo es wärmer ist als in der Schweiz. SRF / Frederick Rotkopf

«Wir sind extra nach St Andrews gekommen wegen des legendären, über drei Kilometer langen Sandstrandes», sagt Nico Junghans. Er hat kürzlich die Maturaprüfung bestanden und kennt St Andrews von einem Sprachaufenthalt. «Ich wollte meiner Familie den Sandstrand zeigen, wo das Olympia-Drama Chariots of Fire gedreht worden ist.»

Immer mehr Menschen suchen im Sommer Erholung im Norden statt im Süden – in Schottland statt in Spanien, zum Beispiel. Schottland verzeichnete im vergangenen Jahr einen neuen Gästerekord, mit fast vier Millionen ausländischen Gästen. Schottland liegt damit 15 Prozent über Vor-Pandemie-Niveau. «Wir wissen, dass Ferien in kühlen Destinationen – kurz #Coolcation – ein wachsender Trend sind», sagt Caroline Warburton von der staatlich finanzierten Tourismusagentur «Visit Scotland» gegenüber SRF.

Frau im Freien mit Landschaft im Hintergrund.
Legende: Für Badeferien in Schottland empfiehlt Caroline Warburton, auch Pullover und Neoprenanzug mitzubringen. SRF / Frederick Rotkopf

«In unseren Gästebefragungen sagen bisher jedoch nur wenige, sie seien wegen des kühleren Wetters hier. Doch das kann sich schnell ändern, wenn es im Mittelmeerraum anhaltend heisser wird.»

#Coolcation wird zum Trend: Ferien in kühlen Gegenden

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Coolcation setzt sich aus zwei Wörtern zusammen: «cool» und «vacation». Sommerferien in kühleren Gegenden sind ein Trend. Darauf lassen die überdurchschnittlich stark wachsenden Gästezahlen in den nordischen Ländern schliessen.

Dänemark verzeichnete im 2023 ein Plus von 38 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Norwegen: plus 18 Prozent. Schottland: plus 14 Prozent. Schweden: plus 9 Prozent. Schwedens offizielle Webseite für Tourismus «Visit Sweden» wirbt aktiv damit: «Coolcationing in Sweden: 11 ways to keep your holiday refreshing.»

Die Gäste nennen bisher zu rund 70 Prozent die abwechslungsreiche, intakte Landschaft als Hauptgrund für ihren Besuch. Knapp 50 Prozent der Befragten nannten auch Schottlands reiche Geschichte und Kultur. 27 Prozent reisten wegen der verschiedenen Sportmöglichkeiten an.

Wachsende Nachfrage nach Zweitwohnungen

Schottland wird zur Trenddestination. Das spüren auch Immobilienagenturen, die Zweitwohnungen vermitteln. «Wenn wir eine Wohnung oder ein Haus ausschreiben, bekommen wir manchmal schon nach wenigen Tagen verbindliche Kaufangebote», sagt Jill McCulley von der Agentur «Rettie», die in Edinburgh und an der Ostküste nördlich der schottischen Hauptstadt gegenwärtig mehrere Hundert Wohnungen zum Kauf anbietet. «Die Nachfrage ist gross und die Preise steigen gegenwärtig jährlich um durchschnittlich fünf Prozent an.» Interessante Objekte seien innerhalb weniger Wochen verkauft.

Frau mit langen Haaren in einer modernen Küche.
Legende: Käuferinnen und Käufer müssen sich Jill McCulley zufolge schnell entscheiden, wenn ihnen eine Immobilie gefällt. SRF / Frederick Rotkopf

McCulley hat in St Andrews mehrere Wohnungen im Angebot. Am grössten sei die Nachfrage Ende Sommer, von passionierten Golf-Fans, beispielsweise. «Auch gutbetuchte Eltern greifen dann zu – für ihre Kinder, die an der St-Andrews-Universität ihr Studium beginnen.» Die Universität von St Andrews hat international einen guten Ruf, unter anderem auch, weil Prinz William und Prinzessin Kate hier studiert haben.

Wegen des Klimawandels: Der Norden gewinnt, der Süden verliert

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Der Klimawandel werde den Tourismus in Europa umkrempeln, kommt auch eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie zum Schluss, die 2023 publiziert worden ist. «Wir sehen ein deutliches Nord-Süd-Muster bei der Nachfrage im Tourismus: nördliche Regionen profitieren vom Klimawandel und südliche Regionen erleben einen signifikanten Rückgang.»

Sollte sich die Erdatmosphäre bis 2100 um vier Grad erwärmen, würden die griechischen Inseln im Durchschnitt neun Prozent der Gäste verlieren, kommt die Studie zum Schluss. Grösste Gewinner wären die Küstenorte im Vereinigten Königreich – mit einem Gästezuwachs von 16 Prozent.

Die vom Forschungsdienst (JRC) der EU-Kommission erstellte Studie kommt zum Schluss, dass die grösste Verlagerung in den Sommermonaten stattfinden werde – im Juli und August. Da würden die Südländer den stärksten Rückgang bei den Gästezahlen erleiden. Dieser werde teilweise aufgefangen mit deutlich mehr Gästen im Frühjahr im April und Mai, sowie mehr Gästen im Herbst, im Oktober und sogar im November.

Agentin Jill McCulley sagt, ihr persönlich seien bisher noch keine hitzesensiblen Käuferinnen oder Käufer begegnet, die ihr Feriendomizil am Mittelmeer gegen eines an der Nordsee eintauschen möchten. «Sobald diese auch nach St Andrews kommen, werden die Preise definitiv durch die Decke gehen.»

Schon heute übersteigen die Preise schnell die 1-Million-Pfund-Grenze. Die Agentur «Savills» bietet in St Andrews an bester Lage eine renovierte 320-m²-Villa mit Meerblick für vier Millionen britische Pfund an.

Nur 200 Meter weiter vermarktet «Savills» auch sechs Luxusappartements mit Meerblick, deren Bau erst kürzlich begonnen hat. Fünf von sechs Appartements sind bereits reserviert. Die 70-m²-Ferienwohnung kostet 750'000 britische Pfund. Wer rund 100 m² Wohnfläche möchte, muss bis zu zwei Millionen britische Pfund lockermachen. Das sind Preise wie am Mittelmeer.

Tiefer und gesunder Schlaf ohne Klimaanlage

Auf die Ankunft von Klima-Touristinnen und -Touristen stellt sich auch das Boutiquehotel «Rufflets» ein. Das unabhängige Hotel liegt in einem grossen Park mit alten Bäumen, etwas ausserhalb von St Andrews. Das 100 Jahre alte ehemalige Landhaus einer reichen Kaufmannsfamilie ist nach 1952 schrittweise zu einem 23-Zimmer-Parkhotel um- und ausgebaut worden.

Grosses Herrenhaus mit Garten und Efeu bewachsen.
Legende: Das Boutiquehotel «Rufflets» bietet 23 Zimmer. SRF / Frederick Rotkopf

Neuste Errungenschaft: vier Holzbungalows unter alten Bäumen – mit einer grossen Kupferbadewanne im Freien. «Wir richten uns ganz bewusst auf ein Publikum aus, das Ruhe in der Natur sucht und abschalten will», sagt Hoteldirektor und Miteigentümer Marco Truffelli.

Zwei Holzschuppen auf Rädern im Freien vor Bäumen.
Legende: Im Park befinden sich Bungalows – vollständig aus Holz gefertigt, ohne Klimaanlage. SRF / Frederick Rotkopf

«Der Klimawandel wird den Hotelsektor grundlegend verändern», ist er überzeugt. Der 55-Jährige ist vor vier Jahren beim Familienbetrieb in St Andrews eingestiegen, auch als Investor. Er weiss, wie stark Hotelbetriebe im Mittelmeerraum gegenwärtig mit dem Klimawandel zu kämpfen haben. Truffelli ist südlich von Genua, in Portofino, aufgewachsen und hat mehrere Hotelbetriebe in Süditalien geführt. «In unserem Hotel hier in St Andrews brauchen wir keine Klimaanlage. Wir schauen gut zu unserem Baumbestand, dass das auch so bleibt.»

Mann im karierten Blazer vor einem bewachsenen Gebäude mit Fenstern.
Legende: Geschäftsleiter Marco Truffelli hat seiner Heimat Italien vor über zehn Jahren den Rücken gekehrt. SRF / Frederick Rotkopf

Ohne Klimaanlage schlafe er viel tiefer und erhole sich besser, sagt der Hotelier. Das gehe auch vielen Gästen so. Um für hitzesensible Gäste bereit zu sein, sollen in den nächsten Jahren acht weitere Suiten in Holzbungalows im Park erstellt werden.

Der tiefe, gesunde Schlaf unter alten Bäumen hat allerdings seinen Preis: zwischen 350 und 550 Schweizer Franken, pro Nacht.

10vor10, 30.7.2024, 21:50 Uhr

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