Sabina Apostolo ist eine der Kuratorinnen der neueröffneten Ausstellung im jüdischen Museum in Wien. Sie beginnt den Rundgang bei einigen scheinbar unverfänglichen Schwarz-Weiss Fotos, die einen Weingarten im Winter zeigen. «Es könnte durchaus ein Sujet für österreichische Werbung sein», sagt sie. Ist es aber nicht.
Die Fotos stammen von Dan Glaubach, Sohn und Enkel von Holocaust-Überlebenden, die nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst nach Palästina emigriert und dann nach Europa in die Nähe von Wien zurückgekehrt sind. «Er hat in diesen winterlichen, dünnen, streng aneinander gereihten Weingärten einen Appellplatz im KZ gesehen.»
Künstlerischer Umgang mit dem Trauma der Grosseltern
Wie Traumata vererbt werden, ist ein grosses Thema in der Psychologie. Und wie die Enkel damit umgehen, in diesem Fall künstlerisch, ist Thema der Ausstellung «Die Dritte Generation. Der Holocaust im familiären Gedächtnis». Die erste Generation habe geschwiegen und die zweite nicht gefragt, sagt die Kuratorin.
Die dritte Generation lässt sich jetzt die Haftnummer der Grosseltern tätowieren.
Bei der dritten Generation sei das anders, sagt Apostolo. Sie fragten die Grosseltern, die jetzt auch antworten würden. Auch sei die junge Generation stolz auf ihre Grosseltern: «Die dritte Generation lässt sich jetzt sogar die Haftnummer der Grosseltern tätowieren – eine doppelte Provokation, weil es im Judentum verboten ist, sich tätowieren zu lassen.»
Die Geschichte wird von der dritten Generation quasi neu interpretiert. Und manchmal wird sie in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit freigelegt.
Münze mit Davidstern und Hakenkreuz
Als etwa der Regisseur Arnon Goldfinger und seine Geschwister den Besitz der verstorbenen Grossmutter räumten, entdeckte er nicht nur, dass ihre Wohnung in Tel Aviv genau gleich wie die frühere in Berlin eingerichtet war.
Die Nazis wollten die Juden vertreiben und berauben, die Zionisten wollten, dass möglichst viele Juden nach Palästina emigrieren.
Er fand auch verschiedene Exemplare der Nazi-Zeitschrift «Der Angriff» mit der Artikelserie «Ein Nazi reist nach Palästina». Zudem fand er eine Münze, in die auf einer Seite ein Davidstern, auf der anderen ein Hakenkreuz geprägt gewesen ist.
Goldfinger fand dann heraus, dass seine Grosseltern mit dem SS-Offizier Leopold von Mildenstein befreundet gewesen waren. Dieser war ein Vorgänger von Adolf Eichmannn, dem späteren Organisator des Holocaust.
Juden reisen mit dem Nazi durch Palästina
Goldfingers Grosseltern waren 1936 als Zionisten von Berlin nach Palästina emigriert und hatten den SS-Offizier auf jener beschriebenen Reise durch Palästina begleitet. Sogar nach dem Krieg waren sie noch mit dem Nazi befreundet.
Doch was hatte es mit der Münze mit Davidstern und Hakenkreuz auf sich? Anfang der 1930er-Jahren hätten Nazis und Zionisten eigentlich dasselbe gewollt, sagt Apostolo: «Die Nazis wollten die Juden vertreiben und berauben, die Zionisten wollten, dass möglichst viele Juden nach Palästina emigrieren.»
Der Regisseur drehte dann einen Film darüber. Aber er war sich nicht sicher, ob das seinen Grosseltern recht war.
Für viele blieb Deutschland trotzdem Heimat
Paradox ist auch, dass in den 2010er-Jahren viele Juden nach Berlin zogen, in die Hauptstadt der Täter von damals. Denn für viele Holocaust-Überlebenden blieb Deutschland irgendwie Heimat, obwohl es auch Heimat der Mörder war. Und das vererbte sich.
Die Ausstellung in Wien fokussiert sich zwar auf die dritte Generation von Holocaust-Überlebenden. Doch sie gilt auch universell – für die Vererbung von und den Umgang mit Traumata.