Seit Monaten warnen Hilfsorganisationen, Somalia bewege sich auf eine katastrophale Hungersnot zu, hunderttausende Menschen seien vom Tod bedroht. Anfang September setzte auch die UNO einen dramatischen Appell ab und sprach von derart unterernährten Kindern, dass sie nicht einmal mehr weinen oder sprechen könnten. Über die aktuelle Situation in der Krisenregion weiss die Journalistin Bettina Rühl Bescheid.
SRF News: Zeigen die dramatischen Appelle der Hilfsorganisationen Wirkung?
Bettina Rühl: Ja. Die UNO hat inzwischen 70 Prozent der benötigten Mittel zugesagt erhalten. Somit kann immerhin mit Hilfslieferungen begonnen werden – falls man überhaupt Zugang zu den Gebieten hat, in denen die Menschen Hilfe brauchen.
Eine nie dagewesene Dürre ist der Grund für den Hunger. Die Regenzeit ist komplett ausgeblieben, und das nicht zum ersten Mal. Heisst das, dass es seit Jahren nicht mehr geregnet hat in Somalia?
Seit mindestens zwei Jahren hat es nicht geregnet, vier Regenzeiten sind ausgeblieben. Auch zurzeit sollte es regnen, doch auch diese Regenzeit will nicht in Gang kommen. Das hat auch schwere Folgen für das Vieh, von dem viele Menschen leben. Bereits sind ganze Herden verendet, verkauft oder die Tiere sind aufgegessen worden. Darum sind jetzt überhaupt keine Reserven mehr vorhanden.
Schon 2011 verhungerten in Somalia 260'000 Menschen.
Wenn kein Vieh mehr da ist, wird es auch für die Menschen in diesen nomadischen Gesellschaften schwierig. 2011 war eine ähnliche Situation, damals verhungerten 260'000 Menschen. Und auch jetzt sind laut UNO mehr als 200'000 Menschen unmittelbar vom Hungertod bedroht.
Viele flüchten in dieser Situation in die Städte, beispielsweise nach Mogadischu. Finden sie dort zu essen?
Ohne internationale Hilfslieferungen nicht. In den letzten Jahren sind bereits derart viele Menschen dorthin geflohen, dass das Essen dort nicht für alle reicht.
Viele Menschen leben vom Geld, das ihnen Verwandte aus dem Ausland schicken, die geflüchtet sind. Wie wichtig ist das Geld der Diaspora jetzt in dieser Hungersnot?
Es ist eine Lebensader für viele Menschen in Somalia. In der Stadt eröffnet das vielen von ihnen die Möglichkeit, Essen zu kaufen. Doch in den ländlichen Gebieten gibt es oftmals gar nichts mehr zu kaufen, auch wenn man per mobiler Überweisung Geld von Verwandten aus dem Ausland erhält. Auch sind die Nahrungsmittel viel teurer geworden in den letzten Jahren.
Seit über 30 Jahren herrscht in Somalia Bürgerkrieg, der Süden wird durch die islamistische Terrormiliz Al-Shabab kontrolliert. Ist in dieser Region Hilfe überhaupt möglich?
Al-Shabab hat ein Interesse daran, die Bevölkerung in ihren angestammten Gebieten zu halten und will nicht in den Ruf geraten, die Menschen einfach sterben zu lassen.
Für die Helfer ist es gefährlich. Es gibt immer wieder Anschläge auf Hilfskonvois.
Deshalb ist es oft möglich, dass sich die Hilfsorganisationen mit den lokalen Milizen verständigen können – trotzdem bleibt es für die Helfer gefährlich, es gibt immer wieder Anschläge auf Hilfskonvois. Zudem beansprucht Al-Shabab einen Teil der Hilfslieferungen für sich. Die Helfer befinden sich also in einem Dilemma.
Wie stark spürt die Bevölkerung den Bürgerkrieg? Vor Ort sind ja auch die USA, die immer wieder Angriffe mit Drohnen ausführen.
Viele Menschen leben in den Gebieten, wo Al-Shabab aktiv ist, dort finden auch die US-Bombenangriffe statt. Diese sind für die Menschen eine ständige Gefahr.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.