In Nordkorea mangelt es an Lebensmitteln. Neu ist das zwar nicht. Doch der UNO-Sonderbeauftragte hat kürzlich neue Zahlen dazu vorgelegt. Fast elf Millionen Menschen – das sind fast die Hälfte aller Einwohnerinnen und Einwohner – sind unterernährt. Schätzungsweise 140’000 Babys hungern. Der Journalist Martin Fritz erklärt, weshalb keine Besserung in Sicht ist.
SRF News: Fast die Hälfte der Nordkoreaner und Nordkoreanerinnen haben laut der UNO nicht genug zu essen. Wer gehört zu dieser Hälfte?
Martin Fritz: Das sind vor allem Leute, die auf dem Land leben. Das Regime von Kim Jong-un teilt die Bevölkerung inoffiziell in drei Gruppen ein. Da gibt’s die linientreuen Tomaten. Sie sind aussen und innen rot und werden bestens versorgt.
Die ‹Trauben› gelten als feindselig. Sie werden von der staatlichen Versorgungspolitik vernachlässigt.
Das sind etwa 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung. Sie tragen das Regime. Dann gibt es die Äpfel, die nur aussen rot sind, sie sind nicht immer zuverlässig. Und dann gibt’s die Trauben, die als feindselig gelten. Die werden von der staatlichen Versorgungspolitik vernachlässigt, weil man schon weiss, dass man von denen keine Unterstützung bekommt.
Was bedeutet es für die Menschen, wenn sie vom Regime ignoriert werden?
Besonders schlecht geht es denen, die auf staatliche Rationen angewiesen sind. Im sozialistischen Verteilungssystem wurden diese vor einigen Monaten um über 20 Prozent auf 300 Gramm am Tag gekürzt. Meistens ist es Mais von schlechter Qualität. Davon wird man nicht satt. Die wenigen Vitamine, die die Leute bekommen, stammen von sauer eingelegtem Chinakohl, mit Chili versetzt. Laut UNO sind 19 Prozent der Kinder in ihrer Entwicklung gehemmt. Das heisst, sie wachsen nicht richtig, weil sie nicht genug Vitamine und Nahrung bekommen.
Haben die internationalen Sanktionen auch Einfluss auf die Lebensmittelversorgung im Land?
Das grösste Problem sind nicht die Sanktionen, sondern Naturkatastrophen. Wir hatten letztes Jahr viele Überschwemmungen. Das führte zu Ernteausfällen. Im Mai hat Nordkorea die Afrikanische Schweinepest bestätigt. Das Problem scheint so schlimm zu sein, dass südkoreanische Soldaten an der innerkoreanischen Grenze Jagd auf Wildschweine aus Nordkorea machen, weil die möglicherweise infiziert sind.
Warum geht das Regime diese Probleme nicht an?
Dem Regime geht es um die Chuch’e -Lehre. Das Land soll autark sein, sich selber versorgen. Das ist eine dumme Politik, denn die Reiskammer der koreanischen Halbinsel war immer der Süden. Das ist dem Regime aber egal. Die Lehre ist wichtiger.
Die Menschen in Nordkorea werden teilweise täglich stundenlang politisch geschult. Wer nicht brav mitmacht, kommt schnell ins Umerziehungs- oder Arbeitslager.
Kim Jong-il, der Vater des jetzigen Machthabers, soll bei der grossen Hungersnot in den 90er Jahren mit Zehntausenden Toten gesagt haben, er bräuchte sowieso nur 30 Prozent der Bevölkerung, um seine Gesellschaft wieder aufbauen zu können. Die Kim-Herrscher haben gar nicht den Anspruch, dass es allen gut geht.
Kommen die Lebensmittelhilfen der UNO überhaupt an?
Die UNO sagt, dass ihre Lieferungen im letzten Jahr zwei Millionen Menschen geholfen hätten. Sie achtet darauf, aber eine Garantie gibt es nicht, dass nur die Armen diese Lebensmittel bekommen. Das Regime hat zudem die UNO im September aufgefordert, ihre Präsenz in Pjöngjang zu verringern.
Warum begehren die hungernden Menschen nicht auf?
Wer den ganzen Tag damit beschäftigt ist, Nahrung zu organisieren, hat weder Zeit noch Energie für einen Aufstand. Ausserdem werden die Menschen in Nordkorea teilweise täglich stundenlang politisch geschult. Wer nicht brav mitmacht, kommt schnell ins Umerziehungs- oder Arbeitslager.
Das Gespräch führte Roger Aebli.