Nach der Tötung der britischen Labour-Politikerin Jo Cox deuten alle Anzeichen auf ein geplantes Attentat hin. Der 52-jährige mutmassliche Täter war ein permanent arbeitsloser Einzelgänger mit psychischen Problemen, der sich als Hobbygärtner betätigte und seinen Nachbarn aushalf. Er hatte Verbindungen zu rassistischen Gruppierungen im Ausland und rief während seiner Bluttat «Britain first». Das ist auch der Name einer rechtsradikalen Partei.
Abstimmungskampf ausgesetzt
Jo Cox hatte sich für den Verbleib Grossbritanniens in der EU stark gemacht. Noch sagt die Polizei nichts über Motive des britischen Attentäters. Allerdings mehren sich die Hinweise, dass es politische Hintergründe geben könnte – doch das muss nichts mit dem Brexit-Votum vom nächsten Donnerstag zu tun haben.
Immerhin hat laut SRF-Korrespondent Martin Alioth bisher noch niemand versucht, die Bluttat politisch auszuschlachten.
Unterbruch könnte beiden Lagern schaden
Sowohl die Brexit-Befürworter wie auch die -Gegner setzten nach der Tat ihre Kampagnen aus. Für wie lange, ist ungewiss. Auch auf die Veröffentlichung neuer Umfragen wird vorerst verzichtet. Der Unterbruch könnte den Brexit-Verfechtern zu Gute kommen, wie Alioth sagt. «Es ist unverkennbar, dass die Befürworter eines EU-Austritts in den letzten sieben Tagen den Wind im Rücken hatten.» Der Durchschnitt der letzten Umfragen gibt ihnen erstmals einen bedeutenden Vorsprung.
Jede Unterbrechung dieses Beschleunigungs-Moments muss dem Brexit-Lager ungelegen kommen, zumal sich das Opfer klar für die EU engagierte.
Umgekehrt könnte man laut Alioth aber auch sagen, dass ein Unterbruch dem EU-Lager schadet, weil es den Zeitraum verkürzt, während dem es seinen Rückstand wettmachen könnte.
Briten beklagen Verrohung des politischen Diskurses
Einen Tag nach der Bluttat beschäftigt die Briten vor allem die Frage, wie ein solches, vielleicht politisches Attentat zu einem Land passe, das für seine zivilisierte, anständige demokratische Tradition bekannt ist. «Zum einen wird die unübersehbare Verrohung des politischen Diskurses während des Brexit-Abstimmungskampfs beklagt – vor allem im Internet, aber nicht nur», so Alioth weiter. Die grassierende Verachtung für Politiker senke Hemmschwellen auch gegenüber der Gewaltanwendung, werde befürchtet.
Zum andern sorgten sich die Briten um die Bausteine des Demokratieverständnisses ihres Landes. Britische Politiker operieren sehr nahe an der Basis, wie Alioth sagt. Jo Cox war auf dem Weg in ihre wöchentliche Sprechstunde in einer öffentlichen Bibliothek, wo alle ohne Voranmeldung direkt mit ihr sprechen konnten. «Das gehört zur demokratischen Kultur in Grossbritannien. Wenn da sechs Leibwächter herumstehen müssten, steht weit mehr auf dem Spiel als Bequemlichkeit.»
Auf offener Strasse niedergestochen
Die 41-jährige Labour-Abgeordnete Cox war am Donnerstag in der nordenglischen Grafschaft Yorkshire auf offener Strasse niedergestochen und niedergeschossen worden. Sie starb Stunden später im Krankenhaus. Politiker aller Parteien äusserten sich schockiert. Die Polizei nahm einen 52-jährigen Mann in der Nähe des Tatorts fest und stellte Waffen, darunter eine Schusswaffe, bei ihm sicher.