Der Konflikt im Osten der Ukraine hat mit den Kämpfen um Slawjansk und Kramatorsk sowie den tödlichen Zusammenstössen in der südlichen Hafenstadt Odessa am Wochenende einen neuen Höhepunkt erreicht.
Insbesondere die Ereignisse in Odessa hätten «sehr grosses Bestürzen und grosse Wut ausgelöst», berichtet Ann-Dorit Boy. Sie ist Journalistin bei der «Frankfurter Allgemeine Zeitung» und befindet sich derzeit im Osten des Landes, in Donezk.
In vielen Städten wurden am Wochenende Mahnwachen durchgeführt. Es gab aber auch wütende Reaktionen: In der pro-russischen Bevölkerung sei die Rede vom «Massaker von Odessa».
Bevölkerung erwartet Bestrafung der Schuldigen
In Donezk selber bleibe die Lage angespannt, so die Journalistin. Am Sonntagabend sei eine Gruppe von bis zu 2000 aufgebrachten Aktivisten – bewaffnete, junge Männer – und Bürgern durch die Millionenstadt gezogen. Sie beschädigten verschiedene Verwaltungsgebäude und riefen «Wir verzeihen Odessa nicht!».
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Die Regierung in Kiew will untersuchen, wie es zu den Todesfällen in Odessa kommen konnte. Ob diese Ankündigung hilft, die Lage zu beruhigen, ist allerdings fraglich. Eine Untersuchung der Ereignisse und die Bestrafung der Schuldigen sei das Mindeste, was die Leute erwarten, sagt Boy. «Aber es wird wohl nicht genügen.»
«Unsensible Worte» aus Kiew
Viele ukrainische Politiker, so auch Ministerpräsident Arseni Jazenjuk, hätten sich mit «relativ unsensiblen Worten» zu den Ereignissen geäussert, sagt Boy. Jazenjuk beschuldigt die pro-russischen Aktivisten in Odessa, die Gewalt provoziert zu haben. Ähnliches war auch von Julia Timoschenko, der Präsidentschaftskandidatin der Vaterlandspartei, zu hören. Sie stellte die Opfer als Aggressoren dar.
Aufgrund der Videoaufnahmen sei aber klar, dass die Gewalt eindeutig von beiden Seiten ausging. Die Toten seien aber am Ende des Tages halt dann doch Opfer, so Boy. «Und das wurde von den Politikern nicht in diesem Masse gewürdigt.»
Polizei lässt Randalierer gewähren
Es sei zu hoffen, dass die OSZE-Beobachter, die im Osten der Ukraine unterwegs sind, etwas zur Beruhigung der Lage beitragen können, sagt Boy. Sie arbeiten aber im Hintergrund. So sei es für die Bevölkerung nicht wirklich ersichtlich, was die Beobachter tatsächlich leisten.
Im Alltag spüren die Menschen vor allem die Spannungen: Es gibt Zwischenfälle, kommt zu Plünderungen, kleine Gruppen ziehen mit Schlagstöcken durch die Strassen. Die Polizei schaue zu, sagt Boy. «Zunehmend entsteht das Gefühl, dass wir es hier mit einem rechtsfreien Raum zu tun haben.» Es entstehe der Eindruck, «dass wer eine Waffe in die Hand nimmt, losgehen und tun kann, was er will». Das mache vielen Menschen grosse Angst.