Der Schock über den Entscheid für einen Austritt Grossbritanniens aus der EU sitzt tief. Doch nun wollen die EU-Mitgliedstaaten nach vorne schauen und Lösungen finden. Die Frage nach dem weiteren Vorgehen dominiert die Agenda der EU-Staaten.
+++ Cameron will «möglichst enge» Beziehungen zur EU +++
Vor dem EU-Gipfel hat der britische Premier David Cameron für einen möglichst kontruktiven Prozess beim Austritt des Landes aus der EU plädiert. Grossbritannien wolle «Europa nicht den Rücken zukehren».
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Im Gegenteil: Cameron hofft nach dem Brexit auf ein weiterhin gutes Verhältnis zur EU. Er wolle «möglichst enge» Beziehungen «in den Bereichen Handel und Zusammenarbeit bei Sicherheitsfragen».
Am zweitägigen Gipfel in Brüssel werden die EU-Staats- und Regierungschefs über die Folgen des Brexit debattieren. Sie wollen dabei den britischen Premier zu raschen Austrittsverhandlungen bewegen. Vor dem Unterhaus in London hatte dieser jedoch klar gemacht, dass es keine rasche Aufnahme der Verhandlungen über einen EU-Austritt seines Landes geben soll.
+++ Merkel: Keine Rosinenpickerei +++
Die EU wird laut Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Folgen des Brexit fertig werden. «Europa ist stark genug, den Austritt Grossbritanniens zu verkraften», sagte Merkel in ihrer Regierungserklärung im deutschen Bundestag. Der vergangene Donnerstag sei ein Einschnitt für Europa gewesen.
Merkel warnte die «britischen Freunde, sich etwas vorzumachen.» Es werde weder formell noch informell vor dem britischen Antrag auf EU-Austritt Verhandlungen oder Vorgespräche über den Trennungsprozess geben.
Deutschland werde sicherstellen, dass die Austrittsverhandlungen nicht nach dem Prinzip der Rosinenpickerei geführt würden. Wer Zugang zum Binnenmarkt haben wolle, müsse damit einhergehende Verpflichtungen einhalten.
Wer aus der Familie austreten wolle, könne nicht erwarten, alle Privilegien zu behalten, während alle Pflichten entfielen. Freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt bekomme nur, wer die vier europäischen Grundfreiheiten akzeptiere: Die Bewegungsfreiheit für Menschen, Güter, Dienstleistungen und Kapital.
+++ Dank an britische Parlamentarier +++
Auch das Europäische Parlament beschäftigte sich mit dem Austritt der Briten. Zu Beginn der ausserordentlichen Sitzung des EU-Parlaments dankte dessen Präsident Martin Schulz den britischen Mitarbeitern und Abgeordneten des Hauses für ihre Arbeit.
«Wir bedauern die Entscheidung, dass das Vereinigte Königreich uns verlassen will, aber Ihnen sind wir politisch und menschlich zutiefst verbunden.» Schulz dankte auch dem scheidenden EU-Finanzmarktkommissar Jonathan Hill aus Grossbritannien, der beim Applaus seiner anwesenden Kommissionskollegen sichtlich bewegt war.
Vor ihrer Sitzung hatten die Konservativen und Christdemokraten im EU-Parlament den scheidenden britischen Regierungschef in die Pflicht genommen. «Von Premier Cameron erwarten wir, dass er beim Gipfel Klarheit schafft, wie es nach dem Referendum weitergehen soll», sagte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber. «Cameron hat die Pflicht dafür zu sorgen, dass für sein Land und Europa keine Phase der Unsicherheit eintritt.»
+++ Juncker fordert schnell Klarheit +++
Vor dem EU-Parlament sprach auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. London solle so schnell wie möglich den Austritt aus der EU offiziell erklären. «Ich möchte, dass das Vereinigte Königreich seine Position klarstellt.» Dies müsse nicht heute oder morgen passieren, «aber schnell». Denn Europa könne sich keine «längere Phase der Unsicherheit» leisten.
Bevor Grossbritannien seinen Wunsch nach einem EU-Austritt nicht offiziell angemeldet habe, gebe es auch keine Verhandlungen. «Ich habe meinen Kommissaren verboten, mit Vertretern der britischen Regierung zu diskutieren. Solange es keine Notifizierung gibt, gibt es auch keine Verhandlungen.»
«Dies ist sehr bemerkenswert», sagt dazu SRF-Korrespondent Oliver Washington in Brüssel. Damit sollten die Briten darüber im Dunkeln gelassen werden, welche Gedanken man sich in Brüssel zu den anstehenden Austrittsverhandlungen macht. «Dies soll die britische Regierung unter Druck setzen, das Austrittsgesuch so rasch wie möglich zu deponieren.».
Nach einer emotionalen Debatte forderte das Europaparlament auch offiziell rasch Verhandlungen über einen EU-Austritt Grossbritanniens. Die Abgeordneten verabschiedeten in Brüssel bei der Sondersitzung eine entsprechende Resolution.