Im überfüllten Auffanglager «Moria» auf der Insel Lesbos ist es am Montagabend zu Krawallen und einem Grossfeuer gekommen. Die mehr als 3000 Bewohner des Lagers flohen vor den Flammen und verteilten sich auf der Insel. Mehr als 60 Prozent der Einrichtungen sollen durch das Feuer zerstört worden sein, verletzt wurde jedoch niemand.
Inzwischen hat die griechische Polizei gemäss Medienberichten 18 Migranten und Flüchtlinge festgenommen, die für die Krawalle und die Brandstiftung verantwortlich sein sollen. Die in Griechenland lebende Journalistin Rodothea Seralidou erläutert die Hintergründe.
SRF News: Weiss man, warum das Feuer im Flüchtlingslager ausgebrochen ist?
Rodothea Seralidou: Die Brandursache wird untersucht, sie ist noch nicht restlos geklärt. Griechische Medien berichten jedoch, einige Flüchtlinge hätten den Brand gelegt. Es soll im Lager Gerüchte über bevorstehende Massenabschiebungen in die Türkei gegeben haben, woraufhin die Situation eskalierte. Dieser Sachverhalt ist allerdings noch nicht offiziell bestätigt worden.
Es soll Auseinandersetzungen unter den Migranten gegeben haben. Um welche Konflikte geht es da?
In den Flüchtlingslagern Griechenlands kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Flüchtlingsgruppen. Das ist auch nicht weiter erstaunlich: Im Camp «Moria» beispielsweise lebten Menschen aus 88 Nationen mit unterschiedlichen Mentalitäten und Kulturen, auch aus Ländern, die sowieso miteinander in Konflikt stehen. Hinzu kommt, dass die Camps überfüllt und die Lebensumstände äusserst schwierig sind. Das Lager «Moria» hat eigentlich eine Kapazität für 3000 Menschen, doch es lebten fast doppelt so viele dort. Ein weiterer Faktor macht die Stimmung in den Camps explosiv: Niemand weiss, was ihn in Zukunft erwartet. Die Menschen leben in monatelanger Ungewissheit, ob sie Asyl erhalten oder abgeschoben werden. Unter solchen Umständen reicht ein Funke, damit das Pulverfass explodiert. Genau das ist in Lesbos nun passiert.
Tausende Menschen sind nun evakuiert worden, was geschieht mit ihnen?
Die rund 150 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wurden in ein anderes Camp gebracht. Dort sollen die Lebensumstände etwas humaner sein. Für die tausenden anderen Flüchtlinge und Migranten suchen die Behörden nun neue Unterkünfte, in die sie vorübergehend gebracht werden können. In Frage kommt etwa ein Fährschiff, das im Hafen von Lesbos festmachen würde. Im Moment irren die meisten Flüchtlinge aber auf den Strassen der Insel umher, ohne zu wissen, wohin sie sollen.
Nur Stunden vorher warnte der Bürgermeister vor einer Eskalation.
Das Flüchtlingslager «Moria» ist ein so genannter Hotspot. Gegen das Lager hatten Inselbürger am Wochenende demonstriert. Was fordern sie von der Regierung?
Sie fordern eine gerechtere Verteilung der ankommenden Flüchtlinge auf das ganze Land. Ihrer Ansicht nach kann es nicht sein, dass eine so kleine Insel wie Lesbos die Hauptlast tragen muss, bloss weil sie so nahe an der türkischen Küste liegt und viele Migranten und Flüchtlingen diesen Weg nehmen, um nach Griechenland und damit in die EU zu kommen. Diese Haltung vertritt auch der Bürgermeister der Insel. Erst gestern – noch vor Ausbruch des Feuers – warnte er vor einer Eskalation der Lage in den Flüchtlingscamps – was kurz darauf auch geschehen ist.
Trotz des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei sind die Lager in Griechenland immer noch übervoll. Wo liegt das Problem?
Das Abkommen funktioniert nicht. Es sieht vor, dass jene Flüchtlinge und Migranten, die nach dem 20. März in Griechenland angekommen sind, in die Türkei zurückgeschickt werden. Gleichzeitig hat aber jeder Mensch ein Recht darauf, in Griechenland Asyl zu beantragen. So lange sein Asylgesuch bearbeitet wird, darf er nicht zurückgeschickt werden. Weil nun alle ankommenden Menschen Asyl in Griechenland beantragen, gibt es bei der Abarbeitung der Gesuche massive Verzögerungen. Die Flüchtlinge und Migranten sind also auf den griechischen Inseln blockiert, gleichzeitig kommen immer mehr neue Menschen hinzu. So gerät das ganze System ins Stocken. Die EU hat den Griechen zwar Unterstützung zugesagt, doch das Personal reicht immer noch nicht aus. Es müssten viel mehr Asylexperten aus anderen europäischen Ländern nach Griechenland kommen, damit die Anträge rascher bearbeitet werden können.
Das Gespräch führte Tina Herren.