In der Stadt Ranana nördlich von Tel Aviv wird ein Soldat bestattet. Der junge Mann fiel im Gazastreifen. Einige Hundert sind zur Beerdigung des 23-jährigen Bataillonskommandanten gekommen, viele weinen. In der Menge sind orthodoxe Jüdinnen und Juden auffallend präsent. Einer von ihnen wird beerdigt. Dabei heisst es in Israel immer, die Religiösen würden keinen Militärdienst leisten.
«Der Militärdienst ist religiöse Pflicht»
Unweit des Friedhofs wohnt ein Rabbiner, der diesem Bild widerspricht. Rabbi Peretz Einhorn, 40 Jahre alt, hat selbst drei Jahre in der Infanteriebrigade Givati gedient, unter anderem auch im Gazastreifen. Der siebenfache Vater betrachtet den Militärdienst als religiöse Pflicht.
«Religiöse Juden wissen, dass der Militärdienst eine Mitzva ist, also ein Gebot. Aber viele haben Angst, dass sie in der Armee andere religiöse Gebote nicht befolgen können und im Kontakt mit nichtreligiösen Soldaten, Frauen und anderen Kulturen ihre Religiosität verlieren.»
Gebetsausrüstung fürs Schlachtfeld
Deshalb hat Rav Peretz, wie der Rabbiner aus Ranana von den meisten genannt wird, vor zehn Jahren die Organisation Tzalash (https://tzalash.org/) gegründet. «Ich war in einer Mechina, einem Armeevorbereitungsprogramm. Dort hörte ich von religiösen Familien, dass ihre Söhne in der Armee von der Religion abgekommen seien – und wie sie das als Schande empfanden. Also suchte ich einen Weg, um den Armeedienst mit Religiosität zu vereinbaren.»
250 Freiwillige helfen dem Rabbiner, Tausende von religiösen Soldaten zu betreuen: Sie besuchen sie in den Kasernen, im Feld, halten Gottesdienste, kümmern sich um ihre Frauen und Kinder, und rüsten die Soldaten mit Schlachtfeld-kompatiblen Gebetssets aus.
Auch nichtreligiöse Soldaten oder sogar nichtjüdische wollen auf dem Schlachtfeld im Gazastreifen religiöse Gegenstände tragen.
Rav Peretz steigt in seinen Keller, wo er, wie er sagt, alles aufbewahrt, was es für den spirituellen Kampf braucht. Von einem Berg von Rucksäcken nimmt der Rabbiner einen und zeigt, was er enthält: alles fürs Sabbat-Ritual, Taschenausgaben der Tora, ein Schofarhorn, Gebetsschal und Gebetsriemen.
Die Gebetsriemen sind in einer separaten Tasche verspackt. Auf jeder Tasche steht der Name eines der rund 1200 Opfer des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober. Der Rabbiner Peretz Einhorn sagt, auch nichtreligiöse Soldaten oder sogar solche, die nicht jüdisch seien, wollten auf dem Schlachtfeld im Gazastreifen religiöse Gegenstände tragen.
Nach den Worten von Rav Peretz werden die religiösen Gegenstände jetzt zum nationalen Symbol: «Wenn ich Gebetsriemen trage, fühle ich mich mehr israelisch – Religion und Nationalgefühl gehören zusammen.»
«Die Terroristen machten keinen Unterschied»
Vor dem Angriff der Hamas Anfang Oktober hätten sich Israelis untereinander bekämpft – Religiöse gegen Weltliche, Rechte gegen Linke, so Rav Peretz: «Wir sind das Volk Israels und wir sind eins! Als uns die Terroristen töteten, machten sie keinen Unterschied zwischen Rechten, Linken, Religiösen und Nicht-Religiösen. Die Hamas hat uns daran erinnert, dass wir ein Volk sind.»
Vor dem Krieg wehrten sich weltliche Israelis entschieden gegen einen zu grossen Einfluss der Religiösen in den Streitkräften – und in der Politik. Auf diese Kontroverse lässt sich der Rabbiner nicht ein. Er verweist lieber auf die grosse Anteilnahme der Bevölkerung von Ranana, wenn ein Soldat im Gazastreifen fällt: «Das Überleben unseres Volkes gewichten wir alle höher als unser eigenes Leben.»