Gewalt und Trauer liegen über der Stadt im Süden Italiens. Junge Männer, teils noch minderjährig, werden hier zu Tätern und Opfern. Vor allem in den letzten Monaten haben sich solche Vorfälle gehäuft. Landesweit sorgten sie für Schlagzeilen und Entsetzen.
Der Verfall aller Werte führt dazu, dass man unüberlegt extrem reagiert, beispielsweise jemanden ersticht.
Salvatore Esposito arbeitet als Fotograf. Er kennt Neapel und die Tatorte. «Diese Morde geschehen aus super-banalen Gründen. Du bist mir auf den Schuh getreten. Du hast mich dumm angeschaut. Du hast meine Freundin angeschaut. Und der Verfall aller Werte führt dazu, dass man unüberlegt extrem reagiert, beispielsweise jemanden ersticht.»
Ermordet, weil er einen Streit schlichten wollte
Giovanbattista Cutolo war 24 Jahre alt, ein begabter Hornist, der am Konservatorium studierte. Im August 2023 war er mit seinen Freunden unterwegs zu einer Geburtstagsfeier. Als einer seiner Gruppe von anderen bedrängt wurde, wollte er helfen, den Streit zu schlichten.
«Sein Mörder war hinter ihm und lachte, stand auf und schoss Giò von hinten in den Rücken. Giò wollte wegrennen. Da schoss er nochmals. Giò fiel zu Boden und er schoss ihm in die Brust und ging danach zum Pokern», erzählt seine Mutter Daniela Di Maggio. Der Mörder war ein 16-Jähriger mit einem beachtlichen Vorstrafenregister. Die Ermordung des jungen Musikers sorgte in Italien für grosse Fassungslosigkeit.
Es geht darum, zu zeigen, wer stärker ist
Gianfranco Wurzburger engagiert sich in der Jugendarbeit in den prekären Quartieren Neapels. Er kennt die Sorgen und Nöte der Jugendlichen. Vor allem nach der Pandemie habe sich die Gewalt auf den Strassen zusätzlich verschärft. Der Besitz von Waffen habe stark zugenommen. Es sei mittlerweile ein Einfaches, an welche zu kommen – sogar für Kinder.
Offenbar werden die Techniken und Taktiken des Camorra-Systems nachgeahmt.
«Früher hatten wir das Phänomen, dass wir oft Kinder im Alter von acht, neun, zehn oder zwölf Jahren mit kleinen Messern fanden, also mit einer Klingenwaffe in der Tasche. Jetzt hat sich aber das Phänomen insofern verschlimmert, als sie es schaffen, sich mit Pistolen oder sogar Maschinenpistolen, mit Kalaschnikows, zu bewaffnen», sagt Wurzburger. In den Auseinandersetzungen gehe es darum, zu zeigen, wer stärker sei. «Wobei offenbar die Techniken und Taktiken des Camorra-Systems, also der Mafia, nachgeahmt werden», so Wurzburger.
«Alle haben Waffen»
Giuseppe ist ein Jugendlicher, der in einer Institution lebt, die sich um die Wiedereingliederung jugendlicher Gewalttäter kümmert. Sie können dort einen Teil der Strafe auf Bewährung verbringen. Auch Giuseppe war einer von ihnen, auch er hatte eine Waffe. Mit 13 Jahren wollte er einen Gleichaltrigen mit dem Messer umbringen: «Alle haben Waffen. Das ist eine Art Mode. Und wenn du eine Waffe hast, dann benutzt du sie. Aber es ist natürlich keine Entschuldigung, dass ich eine Waffe hatte, nur weil alle eine hatten», erklärt Giuseppe.
Gianfranco Wurzburger fordert mehr Verantwortung von den Eltern. Sie müssten dafür sorgen, dass die Kinder und Jugendlichen nachts nicht allein unterwegs seien. Und er fordert, dass die Politik reagiert: «Wir brauchen einen neuen, innovativen Bildungsweg. Die Kinder müssen Freude haben beim Lernen und sie müssen mehr Zeit haben, um zu lernen – und vor allem mehr Raum zum Spielen.»