Darum geht es: Der Tod einer 22-jährigen Studentin bewegt Italien. Die junge Frau wurde von ihrem Ex-Freund in Norditalien getötet. Den mutmasslichen Täter nahm die Polizei nach Tagen der Fahndung schliesslich in Deutschland fest. Die beiden Studierenden waren Medienberichten zufolge eineinhalb Jahre lang ein Paar gewesen, bevor sich die junge Frau im vergangenen Sommer trennte; allerdings blieben die beiden in Kontakt. Es ist dies seit Jahresbeginn bereits der 102. Fall eines Femizids in Italien.
Weit verbreitetes Phänomen: «Man kann in der Tat von einer Epidemie sprechen», sagt die freie Journalistin und Autorin Margherita Bettoni. Sie befasst sich mit Tötungsdelikten an Frauen und Mädchen, sogenannten Femiziden. Bettoni meint mit der Epidemie aber nicht Italien im Speziellen. In Deutschland und anderen Ländern geschähen ähnlich viele Morde an Frauen, meist durch ihren Partner oder Angehörige. Femizide kommen in allen Ländern vor und ziehen sich durch alle Bevölkerungsschichten, Altersgruppen und Kulturen.
Femizide sind das Resultat patriarchalisch geprägter Gesellschaften.
Mögliche Gründe: Es gibt strukturelle Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit von Femiziden erhöhen. Dazu gehören laut Bettoni etwa Geschlechterstereotypen oder falsch verstandene Männlichkeit. Gerade diese beiden Faktoren führten dazu, dass manche Männer ihre Gefühle oder Probleme nur durch Gewalt ausdrücken könnten. Auch ungleiche Machtverhältnisse spielten eine wichtige Rolle. Hinzu kommen Risikofaktoren, die in Beziehungen vorkommen: häusliche Gewalt etwa. «Femizide sind das Resultat patriarchalisch geprägter Gesellschaften», so Bettoni.
Grosse Anteilnahme: Der neuste Fall eines Femizids hat in Italien ein grosses Echo ausgelöst, auch seitens Politikerinnen und Politikern. So haben zahlreiche von ihnen der Trauerfamilie ihr Beileid ausgesprochen, darunter auch Premierministerin Georgia Meloni. Die Chefin des sozialdemokratischen Partito Democratico, Elly Schlein, schlug der Regierung vor, ein neues Schulfach «emotionale Bindung» einzuführen. «Man ist sich überwiegend darüber einig, dass Femizide ein gesellschaftliches Problem sind», stellt die Journalistin Bettoni fest.
Es braucht einen radikalen Wandel auf allen Ebenen der Gesellschaft.
Das tut die Regierung: Ministerpräsidentin Meloni will nun die Reform des sogenannten Codice Rosso beschleunigen. Das Gesetz gilt seit 2019, doch die Revision, die Verbesserungen bringen soll – etwa, dass Fälle von häuslicher Gewalt schneller bearbeitet werden – muss noch vom Parlament genehmigt werden. Ziel der Revision ist, möglichst frühzeitig Massnahmen gegen notorische Gewalttäter im privaten Bereich verfügen zu können, etwa eine Wegweisung aus der gemeinsamen Wohnung.
Langfristige Massnahmen nötig: Zur Bekämpfung von Femiziden sei aber mehr nötig als ein Gesetz, betont Bettoni. Dazu brauche es einen «radikalen Wandel auf allen Ebenen der Gesellschaft». Neben Notfallmassnahmen, um eine Frau umgehend aus einem Gefahrenbereich herauszubringen, und mehr Frauenhäusern spricht Bettoni von einer besseren Ausbildung der Polizei mit Gefährder-Ansprachen, aber auch mehr Forschung, mehr Täterarbeit oder Anti-Gewalt-Training. Und: «Es braucht Massnahmen, die dazu führen, dass ungleiche Machtverhältnisse abgebaut werden – das sollte schon im Kita- und Schulalter beginnen.»