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Der Papst als Friedensvermittler
Aus Echo der Zeit vom 27.11.2023. Bild: Reuters
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Katholisches Kirchenoberhaupt Einmal mehr: Der Papst und die Juden

Kirchenhistoriker Hubert Wolf findet, Papst Franziskus nehme seine Verantwortung als Friedensvermittler in Nahost zu wenig wahr.

Nichts sei für die katholische Kirche in der Völkergemeinschaft angemessener als Frieden zu schaffen, sagte einst der spätere Papst Paul VI. Es fragt sich, wo der heutige Papst steht.

«Nach meiner Auffassung ist er nicht ausreichend sichtbar. Vor allem nicht angesichts der Geschichte, die die katholische Kirche mit den Juden verbindet und die auch den Vatikan mit den Juden verbindet», sagt der Kirchenhistoriker Hubert Wolf von der Universität Münster. Er untersucht zurzeit in den Archiven des Vatikans Briefe von Juden, die den Papst im Zweiten Weltkrieg um Hilfe gebeten hatten.

1948 hat Papst Pius XII. mit allen diplomatischen Mitteln versucht, die Gründung des Staates Israel und die Anerkennung dieses Staates durch die UNO zu verhindern
Autor: Hubert Wolf Kirchenhistoriker der Universität Münster

Die katholische Kirche habe eine besondere Verantwortung, denn: «Wir haben bis 1962 in der Karfreitagsfürbitte für die perfiden Juden gebetet, dass sie sich bekehren zu Christus unserem Herrn. 1948 hat Papst Pius XII. mit allen diplomatischen Mitteln versucht, die Gründung des Staates Israel und die Anerkennung dieses Staates durch die UNO zu verhindern.»

Sofort und unmissverständlich

Der Papst hätte sich nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober sofort und unmissverständlich hinter Israel stellen müssen, findet Wolf. Denn: «Hätte er sich da klar auf die Seite des jüdischen Volkes gestellt, hätte er jetzt eine ganz andere Autorität. Er könnte der israelischen Regierung sagen, nach den Grundsätzen des gerechten Krieges gilt der Grundsatz der Verhältnismässigkeit: Ihr müsst mal überlegen, was ihr im Gazastreifen eigentlich macht.»

Bis jetzt hat der Papst weder das eine noch das andere getan. Dasselbe Muster sei im Ukrainekrieg zu beobachten. Wolf sagt: «Es gibt zwei Modelle. Nämlich das Modell von Benedikt XV. im Ersten Weltkrieg und das Modell von Pius XII. im Zweiten Weltkrieg.»

Diese Giftgaskriege an der Westfront sind so schrecklich und furchtbar, dass der Heilige Stuhl keine Position der Neutralität mehr einnehmen darf.
Autor: Benedikt XV. Papst

Benedikt XV. habe sich 1917 mit einem sehr konkreten Friedensplan exponiert. Mit folgender Begründung: «Diese Giftgaskriege an der Westfront sind so schrecklich und furchtbar, dass der Heilige Stuhl keine Position der Neutralität mehr einnehmen darf.» Er scheiterte mit seinem Plan, habe aber an moralischer Autorität gewonnen, sagt Wolf.

Neutral und überparteilich

Das Gegenmodell praktizierte Papst Pius XII. im Zweiten Weltkrieg. Die Kirche müsse neutral und überparteilich sein, gerade auch, weil Katholiken bei allen Kriegsparteien vertreten seien. Die Kirche müsse im Verborgenen wirken. Und so schwieg Pius XII. auch zum Holocaust, von dem er gerade auch nach neusten Erkenntnissen wusste. «Bei Franziskus weiss man nicht so genau. Er scheint sich für keines dieser beiden Modelle zu entscheiden. Es ist ein Schwanken», sagt Wolf.

Das Problem, aber auch die Chance des Papstes ist, dass er zwei Hüte trägt. Er ist einerseits religiöses Oberhaupt von weltweit 1.25 Milliarden Katholiken. Und er ist Staatsoberhaupt eines Mini-Staates mit 500 Einwohnern, eines Staates, der aber über beträchtlichen diplomatischen Einfluss verfügt.

Er erklärt irgendetwas, wie ein Dorfpfarrer – nicht wie ein Mann, der die Verantwortung für eine der grössten Religionen der Welt hat.
Autor: Hubert Wolf Kirchenhistoriker der Universität Münster

Kaum ein Land weiss besser Bescheid, was in der Welt vor sich geht. Denn der Vatikan hat 40'000 Priester in 3000 Diözesen auf der ganzen Welt. Die Katholische Kirche betreibt 40'000 Spitäler und Pflegeeinrichtungen und 200'000 Schulen, und umgekehrt unterhalten 184 Staaten diplomatische Vertretungen im Vatikan. Papst Franziskus nutze diese Kompetenz nicht, hört man von Europäern in Rom.

Und das kritisiert auch Wolf: «Er ist ja so spontan und erklärt irgendetwas, wie ein Dorfpfarrer. Nicht wie ein Mann, der die Verantwortung für eine der grössten Religionen der Welt hat.»

Echo der Zeit, 27.11.2023, 18 Uhr

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