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Kommunalpolitik in Deutschland Die Brandmauer gegen die Rechten hat längst Löcher

Kooperationen mit der in Teilen rechtsextremen AfD auf Gemeindeebene häufen sich. Das belegt eine neue Studie zu Ostdeutschland. Die in Berlin oft beschworene Brandmauer hat in den Kommunen einen schweren Stand.

Anfang Juni hat die Alternative für Deutschland (AfD) in Ostdeutschland in vielen Lokalparlamenten Mandate gewonnen. In vielen Ortschaften kann sie künftig mehr mitbestimmen. Meist hat sie mit der CDU eine Mehrheit.

Künftig mehr rechte Politik

Die Politik werde sich verändern, so Politologin Anika Taschke. «Ich gehe davon aus, dass gerade mit Blick auf die CDU viele Anträge, viele Personenwahlen gemeinsam durchgeführt werden und damit auch rechte Politik deutlich mehr Einzug halten wird in den Kommunen».

Dass es solche Kooperationen längst gibt, belegt die Studie, die Taschke mit einem Kollegen für die linke Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellt hat: 121 konkrete Fälle von Zusammenarbeit mit der extremen Rechten weisen sie für Ostdeutschland zwischen 2019 und 2023 nach. Das betrifft praktisch alle Parteien, meist aber die CDU.

Bundes- und Landespolitikerinnen und -politiker halten die Brandmauer hoch. Doch immer mehr Lokalpolitiker sagen, wie Werner Henning (CDU) aus Thüringen im ZDF: «Brandmauer auf unserer Ebene geht überhaupt nicht».  

Die Mär von der politikfreien Lokalpolitik

«Bei mir in der Stadt gibt es kein rotes, kein grünes und kein schwarzes Schlagloch. Es gibt ein Schlagloch, und die Menschen erwarten ganz einfach, dass wir uns darum kümmern», sagt der ehemalige Bürgermeister (CDU) von Waltershausen, Michael Brychcy, im Deutschlandfunk: Als verlängerter Arm des Staates hätten sie kaum Spielraum.

Politologin Anika Taschke widerspricht. Bei aller verständlichen Nähe sei es wichtig, dass die Parteigrenzen erkennbar seien: «Kommunalpolitik ist politisch, das wird in Deutschland gerne anders diskutiert. Geldverwalten oder den Haushalt beschliessen sind politische Themen. Auch da kann man Akzente setzen».

Anika Taschke
Legende: Anika Taschke ist Co-Autorin der Studie «Hält die Brandmauer?». Darin hat die Politologin der linken Rosa-Luxemburg-Stiftung die Kooperation mit der extremen Rechten in ostdeutschen Kommunen untersucht. SRF/Simone Fatzer

Die AfD suche gerade über das Schlagloch in der Strasse die Zusammenarbeit, mit dem Ziel der Normalisierung. Später gehe es dann um ein Demokratieförderprojekt: «Wenn es einmal einreisst, wird es total schwierig, zurückzudrehen».

Die schleichende Gefahr

Es gebe – so zeigten es Gespräche – das widersprüchliche Bild einer AfD, die kaum versuche, eigene Akzente zu setzen. Und doch behaupte sie in den sozialen Netzwerken, die Kümmerer-Partei vor Ort zu sein. Die anderen Parteien hätten trotzdem den Eindruck, sie müssten mit ihr zusammenarbeiten.

Wir würden allen demokratischen Kommunalpolitikern dringend empfehlen, eigene Akzente zu setzen und sich nicht an Rechten abzuarbeiten.
Autor: Anika Taschke Politologin

Man müsse genau hinsehen, mit wem man es zu tun habe und sich breit vernetzen, so Taschke: «Wir würden allen demokratischen Kommunalpolitikern dringend empfehlen, eigene Akzente zu setzen und sich nicht an Rechten abzuarbeiten». Jede Fraktion müsse entscheiden, ob sie es wolle und schaffe, sich abzugrenzen.

Sie habe grossen Respekt vor der Lokalpolitik in diesen schwierigen Zeiten, betont Taschke. Denn sie wird immer mehr zur Mutprobe – erst recht, wenn sieben von zehn Personen in Gremien von der AfD sind.

Lokalpolitik läuft deutlich unterm Radar der Öffentlichkeit.
Autor: Anika Taschke Politologin

Hier sei auch die Bundespolitik gefordert, betont Taschke: «Wenn sie schon von Brandmauer reden, dann braucht es die Unterstützung und das Hinschauen. Davon braucht es mehr. Lokalpolitik läuft deutlich unter dem Radar der Öffentlichkeit.» Und es fehle an Wertschätzung. Ausgerechnet dort, wo Politik so kompliziert und auf Ehrenamtliche angewiesen sei.

Eine mögliche Antwort: Der Schweriner Weg

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2006 zog die rechtsextreme NPD mit sieben Personen in den Schweriner Landtag ein, das Parlament von Mecklenburg-Vorpommern (MV). Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) gilt mit ihrem völkischen und rassistischen Weltbild als verfassungsfeindlich. Das Bundesverfassungsgericht bescheinigt ihr eine «Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus».

Mit dem sogenannten «Schweriner Weg» versuchten die demokratischen Parteien zu verhindern, dass die extremen rechten Akteure das Parlament als Bühne für ihre Diskurse und Parolen nutzen können. Nach diesem Ansatz nahm jeweils nur eine Rednerin oder ein Redner im Namen aller anderen Fraktionen Stellung zu Anträgen oder Äusserungen der NPD – in der Regel mit einer bloss kurzen Ablehnung. Auf diese Weise wurden deren Debatten begrenzt. Dieses Modell bedingt gute Absprachen zwischen den demokratischen Fraktionen im Umgang mit den Rechtsextremen.

Studienautorin Anika Taschke befürwortet diese Arbeitsteilung unter den Fraktionen. Sie ermögliche es, «sich auf ein Gegenargument zu fokussieren und in anderen Tagesordnungspunkten wieder seine eigenen Politikziele zu präsentieren». Nach zwei Legislaturen schaffte es die NPD 2016 nicht mehr in den Landtag von MV, gleichzeitig zog die AfD ins Parlament ein. Die NPD hat sich 2023 in «Die Heimat» umbenannt.  

Echo der Zeit, 20.06.2024, 18:00 Uhr

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