Die Herbstsession beginnt mit einer Debatte zum Palästinenserhilfswerk UNRWA: Die Nationalratskommission will die Schweizer Hilfe für Palästina neu regeln. Dies, nachdem der Bundesrat die Nothilfe für die Menschen im Gazastreifen Ende Mai freigegeben hat.
Das UNO-Hilfswerk sah sich seit Kriegsbeginn heftigen Vorwürfen ausgesetzt. Israel bezichtigte UNRWA-Mitarbeitende gar, an Terrorakten der Hamas beteiligt gewesen zu sein. Was ist dran an den Vorwürfen – und wie wichtig ist das Hilfswerk für die Menschen im kriegsversehrten Gazastreifen? Susanne Brunner und Fredy Gsteiger von der SRF-Auslandredaktion liefern Antworten.
Wie ist die humanitäre Lage im Gazastreifen derzeit?
Im August haben eine Million Menschen in Süd- und Zentralgaza keine Nahrungsmittelrationen bekommen (Quelle: UNO-Organisation OCHA). Die Hilfsgüter, welche in den Gazastreifen gelangen, reichen nicht aus, um die über zwei Millionen Menschen zu ernähren. Gründe dafür sind: das Ausmass der Zerstörung der zivilen Infrastruktur, die wiederholte Flucht Hunderttausender vor Bombardierungen und Kämpfen, die Gefahr für Hilfswerksmitarbeitende und der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung. Seit September halten die Kriegsparteien immerhin kurze, lokal begrenzte Feuerpausen ein, damit Kinder gegen das Polio-Virus geimpft werden können.
Wie wichtig ist die UNRWA für die Hilfe vor Ort?
Mit ihren 13'000 Mitarbeitenden im Gazastreifen erreicht die UNRWA mehr Bedürftige als jedes andere Hilfswerk. Dank ihrer Logistik, Vernetzung und Erfahrung mit den zahlreichen Gaza-Kriegen funktioniert die Nothilfe in diesem bisher längsten Krieg überhaupt noch einigermassen. Kurzfristig gibt es in dieser Krise kein Hilfswerk, das die UNRWA ersetzen könnte.
Die UNRWA betreut nicht nur palästinensische Flüchtlinge und ihre Nachkommen im Gazastreifen und im Westjordanland, sondern auch in Ostjerusalem und in Jordanien, Libanon und Syrien. Vor allem im kriegsversehrten Syrien und im verarmten Libanon würde das Wegbrechen der UNRWA ein noch grösseres Flüchtlingselend bedeuten. Das hätte wiederum Auswirkungen auf die ganze Region.
Die UNRWA sorgt nicht nur für die Verteilung von Lebensmitteln, sondern in ihren inzwischen schwer beschädigten Schulen und Spitälern auch für ein Minimum an medizinischer Versorgung, psychologischer Betreuung der schwer traumatisierten Bevölkerung, und wenigstens etwas Schulbildung für die fast eine Million Kinder.
Wurde die UNRWA von der Hamas unterwandert?
Die UNRWA hat insgesamt rund 30'000 Angestellte. Nur wenige Hundert davon sind internationale UNO-Funktionäre. Die meisten Mitarbeitenden sind palästinensisch. Diese müssen sich zwar «neutral» verhalten und im Sinne der UNO handeln. Privat dürften diese jedoch mit der palästinensischen Sache zumindest sympathisieren, in Gaza wohl nicht wenige auch mit der Hamas.
Die Zahl jener, die sich bisher erwiesenermassen sogar an Hamas-Terroraktionen beteiligt haben, ist indes sehr klein und beläuft sich laut dem jüngst publizierten Untersuchungsbericht von Oios (eine Art UNO-interne Geschäftsprüfungskommission) auf neun Personen. Das sind neun zu viel. Eine breite Unterwanderung der UNO-Organisation durch die Hamas lässt sich jedoch nicht belegen.
Wie gehen andere Geldgeber mit der UNRWA um?
Die UNRWA wird grossmehrheitlich durch einen kleinen Kreis westlicher Länder finanziert. Nachdem Israel behauptete, auch UNRWA-Angestellte hätten sich an Hamas-Terrorakten beteiligt, stellten rund ein Dutzend Länder, darunter die Schweiz, die Zahlungen ein, noch bevor Israel überprüfbare Beweise vorlegte. Die meisten davon haben sie inzwischen ganz oder teilweise – wie die Schweiz – wieder aufgenommen.
Die Beitragszahlungen der USA, des mit Abstand grössten Beitragszahlers, bleiben indes weiter suspendiert. Es gibt also keine einheitliche Haltung der Staatengemeinschaft gegenüber der UNRWA. Und auch die politische Diskussion in der UNO läuft weiter: Grossmehrheitlich anerkennen die Staaten, dass die UNRWA derzeit unverzichtbare humanitäre Hilfe leistet. Immer mehr infrage gestellt wird jedoch, ob das Mandat der UNO – das nur bis zur Schaffung eines palästinensischen Staates dauern sollte – noch zeitgemäss ist.