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Wie gross sind die russischen Kriegs-Ressourcen?
Aus Echo der Zeit vom 28.06.2022. Bild: Keystone
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Krieg in der Ukraine «Jede Sekunde kann eine Rakete vom Himmel fallen»

Die russische Armee verunsichert mit Raketenangriffen wie zuletzt jenem auf ein Einkaufszentrum in Krementschuk die ukrainische Zivilbevölkerung. Zudem kann Russland an der Front im Osten des Landes Erfolge verbuchen. Laut Militärexperte Gustav Gressel bräuchte die Ukraine dringend mehr Kriegsgerät; besonders Abwehrraketen.

Gustav Gressel

Militärexperte

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Gressel ist leitender Forschungsbeauftragter am European Council on Foreign Relations. Sein Spezialgebiet sind insbesondere Osteuropa, Russland und die Verteidigungspolitik.

SRF News: Wie lange kann Russland den Krieg so fortsetzen?

Gustav Gressel: Die russische Armee kann diesen Krieg auf dem Level, wie sie ihn jetzt führt, noch relativ lange weiterführen. Im Bereich der normalen Infanterie-, Panzer- und Artilleriemunition besteht kein Mangel. Es gibt eine heimische Produktion, die relativ unverwundbar durch Sanktionen ist, denn primitive Artilleriemunition, Granaten und Kartuschen sind jetzt nicht etwas, wofür Russland westliche Technik braucht. Ich sehe es so, dass Russland die Kriegsplanung so angelegt hat, dass dieser sich noch weit bis ins nächste Jahr erstrecken wird.

Russland hat die Kriegsplanung so angelegt, dass dieser sich noch weit bis ins nächste Jahr erstrecken wird.

Ob man den Krieg darüber hinaus noch führen wird, oder ob man dann nach einem Waffenstillstand rufen wird, um die Front einfrieren zu lassen, um wieder Kräfte zu regenerieren und zu einem späteren Zeitpunkt das «Werk» in der Ukraine zu vollenden, sei dahingestellt.

Hat Russland genügend kampfbereite Soldatinnen und Soldaten?

Das ist das knappere Gut. Ich hätte eigentlich erwartet, dass hier die Kurve schon früher abnimmt, zumindest wenn man im Bereich der Freiwilligen bleibt, der Rekrutierung durch finanzielle Anreize. Russland mit seiner alternden Gesellschaft kann nicht aus einem sehr grossen Pool schöpfen. Aber ungefähr mit 120'000 bis 150'000 Mann, ausgestattet mit entsprechender Feuerkraft, kann man den Krieg so weit weiterführen.

Shoppinzentrum nach dem Angriff, aus der Vogelperspektive sieht man die Zerstörung
Legende: Am Montag traf eine russische Rakete ein Einkaufszentrum im ukrainischen Krementschuk. Präsident Wolodimir Selenski sprach von einer der dreistesten Terrorattacken in der Geschichte Europas. Westliche Politiker nannten den Angriff ein Kriegsverbrechen. Am Dienstagabend wollte sich der UNO-Sicherheitsrat mit dem Angriff befassen. Keystone

Präsident Wolodimir Selenski fordert vom Westen Waffen und Munition. Hat die Ukraine überhaupt noch eine eigene Produktion?

Die ist sehr eingeschränkt. Es fällt auf, dass Russland sehr gezielt die ukrainischen Rüstungsbetriebe angreift und ausschaltet. Und das Problem ist: Man kann noch versuchen, etwas zu retten, etwas in den Westen zu verlegen. Aber all diese Dellen in der Produktion schwächen die Ukraine erheblich. Bei Flugabwehrraketen gibt es zudem im Grunde nur Restbestände an sowjetischem Material. Wenn da der Westen nichts liefert, hat die Ukraine keine Quelle, die sie anzapfen kann.

Es fällt auf, dass Russland sehr gezielt die ukrainischen Rüstungsbetriebe angreift und ausschaltet.

Bei fast allen Waffensystemen wird sie über kurz oder lang auf westliche Güter und westliche Systeme umsatteln müssen. Ganz einfach, weil sie bei dieser hohen Intensität des Krieges und bei der ständigen Bedrohung durch russische Raketenangriffe einfach auf den Westen angewiesen ist. Selbst die Betriebe, die noch stehen, können das nächste Opfer eines Angriffs werden. Eine Rakete kann jede Sekunde vom Himmel fallen.

G7 versprechen Lieferung von Raketensystem

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Am G7-Treffen wurde die Lieferung eines amerikanisch-norwegischen Raketenabwehrsystems versprochen, das die Ukraine dringend braucht. «Die Ukraine hat einen sehr knappen Bestand an Abwehrraketen», erklärt Militärexperte Gustav Gressel. «Und sie braucht irgendein westliches System, bei dem der Westen auf der Munition sitzt, um diese auch kontinuierlich liefern zu können.»

Denn die russische Luftwaffe fliege 250 bis 300 Einsätze pro Tag. «Wenn man da nur auf ein paar Dutzend Raketen sitzt, dann ist natürlich die Möglichkeit, dem gegenzusteuern, fast nicht mehr gegeben.» Gressel gibt aber auch zu bedenken: «Es ist nicht so, dass das, was an Rüstungsgerät in die Ukraine kommt, ihr irgendetwas ‹on top› gibt. Das gleicht entweder Verluste oder das Gerät aus, das aufgrund von Munitionsmangel oder nicht mehr verfügbarer Munition unbrauchbar geworden ist.»

Worauf läuft das Ganze hinaus?

Es läuft auf einen Abnutzungskrieg hinaus. Russland will sehen, wer den längeren Atem hat. Ob es der Westen wirklich ernst meint mit seinen Zielen, die Ukraine nicht verlieren zu lassen, oder ob die Kriegsmüdigkeit einsetzt. Die Ukraine hat natürlich durch die freiwillige Mobilmachung die Männer und Frauen, um sich wehren zu können. Aber die Ukraine hat nicht die Ausrüstung. In absehbarer Zeit werden die Kampfpanzer bei der Ukraine wieder knapp. Schützenpanzer sind schon knapp. Artillerie und Fliegerabwehr sind die wichtigsten Engpässe, die man derzeit hat.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Echo der Zeit, 28.06.2022, 18:00 Uhr ; 

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