Worum geht es? Die drei baltischen Länder haben per Anfang April schon erreicht, was zahlreiche andere europäische Länder derzeit mit Hochdruck versuchen: Sie sind nicht mehr auf Erdgas aus Russland angewiesen. Man habe am 1. April die Einfuhr von russischem Gas vollständig eingestellt, verkündete das litauische Energieministerium am Wochenende. Dasselbe gilt für Lettland und Estland. Damit ziehen die drei Länder mit insgesamt gut sechs Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern die Konsequenzen aus dem Krieg in der Ukraine.
Die baltischen Länder betrachten Energiepolitik als Frage der nationalen Sicherheit.
Wie ist das möglich? Litauen hat schon Anfang 2015 in der Ostsee-Hafenstadt Klaipeda ein schwimmendes Gasterminal in Betrieb genommen, um sich unabhängiger von russischen Gasimporten zu machen. Dort kommen laut Angaben des litauischen Energieministeriums nun jeden Monat drei grosse Lieferungen Flüssiggas (LNG) aus Norwegen und den USA an. Im lettischen Riga befindet sich ausserdem ein grosser, unterirdischer Gasspeicher, der im Sommer aufgefüllt wird und im kalten Winter mithilft, die Gasversorgung sicherzustellen. Dies alles reicht, um den Gasbedarf des Baltikums zu decken.
Warum dieses Vorgehen? «Die baltischen Länder betrachten Energiepolitik als Frage der nationalen Sicherheit», sagt SRF-Auslandredaktorin Judith Huber. Litauen, Lettland und Estland sei seit Langem klar, dass Moskau seine Energielieferungen als politische Waffe einsetze. «Sie waren weniger blauäugig als etwa Deutschland, das die Pipeline Nordstream 2 jahrelang als bloss ‹wirtschaftliches Projekt› bezeichnet hatte.» Spätestens nach der Krim-Annexion und der Anstachelung des Krieges im Donbass durch Moskau 2014 war für die baltischen Länder klar, dass sie von der Abhängigkeit von Russland wegkommen müssen.
Was heisst das für Europa? Das Vorgehen der baltischen Staaten kann als Vorbild für die anderen europäischen Länder verstanden werden, die ebenfalls von russischem Gas loskommen wollen. So plant jetzt – nach dem endgültigen Aus der eigentlich fertiggestellten Ostsee-Pipeline Nordstream 2 zwischen Russland und Deutschland wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine – bekanntlich auch Deutschland Gas-Terminals, wo LNG aus aller Welt angelandet und ins Gaspipeline-Netz eingespeist werden soll. Bis die Terminals in Betrieb gehen, dürfte es allerdings noch einige Zeit dauern.
Die Balten waren weniger blauäugig als etwa Deutschland.
Was bedeutet das Ganze für die Zukunft? Kurzfristig versucht Europa, möglichst rasch unabhängig von russischen Energielieferungen zu werden – und begibt sich mit den geplanten LNG-Lieferungen möglicherweise in neue Abhängigkeiten von anderen autoritären Staaten wie die Länder am Golf. Nicht nur angesichts des Klimawandels, dessen Begrenzung ein möglichst schnelles Wegkommen von allen fossilen Energieträgern verlangt, ist das problematisch: «Die baltischen Staaten betonen denn auch, man müsse so rasch wie möglich auf erneuerbare Energien umsteigen und Energie sparen», so Auslandredaktorin Huber.