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Krieg in der Ukraine Wie russische Drohnen Andrej jagten – und er nur knapp überlebte

Ein Ukrainer evakuiert Menschen von der Front. Unser Korrespondent hat miterlebt, wie gefährlich diese Arbeit ist.

Im Morgengrauen in der südukrainischen Grossstadt Cherson: Wir haben uns mit Andrej Petuchow in einem frontnahen Viertel verabredet. Man hört das dumpfe Donnern der Artillerie. Die Ukrainer schiessen über den Fluss Dnipro – die Russen schiessen zurück.

Andrej steht mit Splitterschutzweste und Helm vor seinem gepanzerten Bus. Er will noch näher an die Front fahren, dort einen Zivilisten evakuieren. Zudem fährt ein Mann mit, der seinen Hund aus der unmittelbaren Kampfzone holen möchte.

Andrej fragt, ob wir auch mitkommen. Wir lehnen ab. Die Fahrt in die sogenannte «rote Zone» ist uns zu gefährlich. Stattdessen hängen wir dem ehemaligen Profiboxer eine Kamera um. Sie wird alles aufzeichnen, was er erlebt. Es werden dramatische Bilder sein.

Russische Drohnen greifen alles an, was sich bewegt

Andrej fährt los. Zunächst geht alles nach Plan. Er findet den Anwohner, der von der Frontlinie wegwill. Der andere Mann findet seinen Hund. Er will noch wichtige Dokumente suchen. Doch vom Haus ist nicht mehr viel übrig: Es ist komplett ausgebrannt.

Drei Männer, einer in militärischer Ausrüstung, besprechen sich im Freien bei Dämmerung.
Legende: Andrej Petuchow macht sich bereit für seinen Evakuierungseinsatz in der Kampfzone. SRF/David Nauer

Auf dem Video aus der umgehängten Kamera ist zu sehen, wie Andrej zur Eile drängt. «Lasst uns fahren», ruft er. In Frontnähe sind ständig russische Kampfdrohnen in der Luft, die alles angreifen, was sich bewegt.

Die drei Männer fahren durch eine apokalyptische Landschaft: kein Mensch weit und breit, zerstörte Häuser, am Strassenrand ausgebrannte Autos. Und plötzlich, wie aus dem Nichts: Eine Kampfdrohne stürzt sich zielgenau auf Andrejs Auto, trifft die Kühlerhaube. Ein Blitz, ein Knall. «Verdammt!», ruft Andrej.

Die drei Männer überleben den Angriff. Doch die Gefahr ist nicht vorbei. Es gehört zu den brutalen Regeln dieses Krieges, dass nach einem Drohnenangriff sofort andere Drohnen an den Ort geschickt werden, um Überlebende zu töten. Die Männer steigen aus dem Auto und suchen hastig ein Versteck. Einer von ihnen kriecht unter einen Busch und bekreuzigt sich.

Schliesslich finden sie eine überdeckte Veranda. Andrej ruft einen Freund an, er soll sie herausholen. Eine gefühlte Ewigkeit warten die drei auf das rettende Auto. Auf dem Video hört man, wie draussen russische Drohnen surren. Sie suchen die Männer.

Als Andrejs Freund endlich da ist, wagen sich die Männer raus. Sie rennen an ihrem brennenden Auto vorbei. Überall Splitter am Boden. «Schneller, schneller!», ruft Andrej. Sie steigen in den Wagen des Freundes und rasen in halsbrecherischem Tempo los.

«Heute ist mein zweiter Geburtstag»

Schliesslich schaffen sie es zu unserem Treffpunkt. Hier donnert immer noch die Artillerie. Auch hier sind russische Drohnen auf der Suche nach Opfern, aber seltener. Andrej und seine Gefährten stehen unter Schock. Dieser Ex-Profiboxer, der vor nichts Angst zu haben scheint, bricht in Tränen aus. «Heute ist mein zweiter Geburtstag», schluchzt er. «Wär mein Auto nicht gepanzert gewesen, wären wir jetzt nicht mehr hier.»

Wir fragen Andrei, was er nun, nach diesem Erlebnis, plant. Er schaut ernst und sagt: «Ich werde weitermachen. Heute Abend hab ich schon die nächste Evakuierung.» In der Stadt Cherson ist Andrej ein Held. Unzählige Menschen hat er von der Frontlinie gerettet.

Er selbst macht daraus keine grosse Sache. Irgendwer müsse diese Arbeit ja machen, sagt er. Und doch gehen die ständige Gefahr, die alltägliche Gewalt nicht spurlos an ihm vorbei. Der Krieg habe ihn zu einem anderen Menschen gemacht, sagt Andrej. Er lache jetzt viel weniger.

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Tagesschau, 10.4.2025, 19:30 Uhr;brus

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