Den verfeindeten Parteien gelingt es trotz prekärer humanitärer Lage nicht, sich auf eine Waffenruhe zu einigen. SRF-Auslandredaktorin Susanne Brunner erläutert, warum die jüngsten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas ohne Ergebnis zu Ende gegangen sind und schätzt ein, ob nach dem versuchten Vergeltungsakt der Hisbollah nun die Gefahr eines Flächenbrandes im Nahen Osten gebannt sei.
Weshalb endeten die Verhandlungen in Kairo über eine Waffenruhe ohne Ergebnis?
Die Positionen liegen weit auseinander: Ein grosser Streitpunkt ist die Kontrolle über das strategisch wichtige Grenzgebiet zwischen Gaza und Ägypten: Israel will verhindern, dass sich die Hamas weitere Waffen beschafft, die Hamas will den Rückzug der israelischen Armee aus der Zone. Zurzeit bringt eine Waffenruhe weder Hamas-Chef Sinwar noch dem israelischen Premier Netanjahu etwas. Netanjahu steht zwar unter Druck wegen der Geiseln. Gleichzeitig fordern seine Regierungspartner die totale Zerstörung der Hamas. Und für die geschwächte Hamas wäre einlenken quasi kapitulieren.
Die Hisbollah wollte am Sonntag die Tötung eines Kommandanten vergelten. Welchen Einfluss hat dies auf die Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas?
Gar keinen. Zwar gibt die Hisbollah vor, Druck auf Israel zu machen, damit Israel im Gazastreifen aufhört, Krieg zu führen. In Wirklichkeit geht es der Hisbollah jedoch nicht um die Palästinenserinnen und Palästinenser im Gazastreifen, sondern um eigene Ziele. Der Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel ist jahrzehntealt und hat mit dem Krieg in Gaza nichts zu tun.
Ist die Gefahr eines Flächenbrandes nach diesem Vergeltungsschlag vorläufig gebannt?
Im Gegenteil. Weil es Israel gelang, den Vergeltungsschlag der Hisbollah grösstenteils zu vereiteln, wird die Hisbollah nun in arabischen Medien verhöhnt, der Vergeltungsschlag sei zu zaghaft gewesen. Zudem sagen alle Beteiligten – die Hisbollah, die Grossmacht Iran und Israel – sinngemäss: Wir sind noch nicht fertig miteinander. Iran behält sich ja ausdrücklich Vergeltung vor, weil mutmasslich Israel den Hamas-Chef Ismail Haniyeh in Teheran umgebracht hat.
Wie ist die humanitäre Lage im Gazastreifen mittlerweile?
90 Prozent der rund über zwei Millionen Menschen sind nun mehrfach Vertriebene. Sie werden wegen der Kämpfe auf immer engerem Raum zusammengepfercht, wie Satellitenaufnahmen zeigen. Die hygienischen Bedingungen sind katastrophal, sauberes Trinkwasser und Nahrungsmittel sind Mangelware. Bereits sind erste Fälle von Kinderlähmung (Polio) bei Kindern nachgewiesen worden. Die israelische Armee sagt, sie habe Polio-Impfungen für eine Million Menschen geliefert. Wie sie verteilt werden, ist nicht bekannt.
Wie viele israelischen Geiseln hat die Hamas noch in ihrer Gewalt und wie geht es ihnen?
Am 20. August hat die israelische Armee sechs weitere Leichen von getöteten Geiseln aus dem Gazastreifen geborgen. Laut israelischen Regierungsangaben befinden sich damit noch 109 Geiseln im Gazastreifen. Wie viele davon noch am Leben sind, ist nicht bekannt.