Von London über Paris bis nach Berlin setzt sich derzeit die Einsicht durch: Europa muss sich selbst vor Russland verteidigen können. In Warschau hat die viel beschworene «Zeitenwende» schon stattgefunden.
Im vergangenen Jahr war Polen erneut der Nato-Staat, der gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) am meisten in die Verteidigung investierte.
Wehrhaftigkeit als Staatsräson
Künftig will das Land fast fünf Prozent des BIP fürs Militär ausgeben. Ausserdem hat Premier Donald Tusk vorgeschlagen, dass alle erwachsenen Männer eine militärische Ausbildung erhalten sollen.
Die Angst vor Russland ist real. Im Parlament sprach Tusk von der Notwendigkeit, die Grösse von Polens Armee auf 500'000 zu erhöhen (einschliesslich Reservisten).
Die Gräben zwischen Regierung und Opposition sind in Polen tief. Dass das Land eine schlagkräftige Armee und entsprechende finanzielle Mittel braucht, ist allerdings parteiübergreifend unbestritten.
Die Dämonen der Vergangenheit
Auch, weil die russische Invasion in der Ukraine böse Erinnerungen weckt. In seiner Geschichte war Polen Spielball der europäischen Grossmächte, die das Land aufteilten, seine Grenzen verschoben und zu ihrem Vasallen machten.
Nun wächst die Furcht, dass der Kreml erneut imperiale Ambitionen hegen könnte, die bis nach Polen reichen. Das zeigt sich auch in Umfragen: Dort dominiert die Angst, dass der Krieg von der Ukraine auf Polen überschwappen könnte, das Sorgenbarometer. «Das spürt man auch in Gesprächen mit den Menschen», sagt Jan Opielka, freier Journalist in Polen.
Erst das Baltikum, dann Polen?
Drei Viertel der Bevölkerung stimmen denn auch den Plänen der Regierung zu, die Armee weiter aufzurüsten. Dass Washington mit Moskau über einen wie auch immer gearteten «Frieden» in der Ukraine übereinkommen könnte, trägt laut Opielka kaum zur Beruhigung bei.
Das Schreckensszenario der Regierung in Warschau: Russland stärkt nach Beendigung der Kämpfe in der Ukraine seine militärischen Kräfte – und nimmt die Nato-Ostflanke mit den baltischen Staaten und Polen ins Visier.
Tusk rügt die «lieben Freunde» in Washington
Wie angespannt die Stimmung ist, belegt ein Statement des polnischen Ministerpräsidenten Tusk auf X. «Wahre Führung bedeutet Respekt gegenüber Partnern und Verbündeten. Auch gegenüber den kleineren und schwächeren. Niemals Arroganz.»
Ohne jemanden direkt namentlich zu erwähnen, fügte er hinzu: «Liebe Freunde, denkt darüber nach.» Tusk sprang damit seinem Aussenminister Radoslaw Sikorski zur Seite, der sich auf X einen Schlagabtausch mit dem US-Milliardär Elon Musk geliefert hatte.
Sikorski hatte auf der Plattform auf Musks Aussage reagiert, dass die gesamte Frontlinie der Ukraine zusammenbrechen werde, sollte er Starlink abschalten. Der polnische Minister schrieb, dass sein Land rund 50 Millionen US-Dollar für die Ukraine pro Jahr an Starlink überweise und sich nach Alternativen umschauen müsse, sollte Musks Firma SpaceX kein zuverlässiger Anbieter mehr sein.