Amnesty International übt scharfe Kritik an Griechenland: Im jährlichen Bericht zur Lage der Menschenrechte auf der Welt ist von Gewalt an Flüchtlingen die Rede. In zahlreichen Fällen habe Griechenland Flüchtlinge zurück in die Türkei gedrängt. In den Lagern würden zudem die Grundrechte verletzt. Die Journalistin Rodothea Seralidou hält die Kritik an der Regierung in Athen wegen ihres Umgangs mit den Flüchtlingen für gerechtfertigt.
SRF News: Sie halten die Kritik an Griechenland für gerechtfertigt. Wieso?
Rodothea Seralidou: Der Bericht kritisiert Dinge, die tatsächlich kritikwürdig sind, etwa die Situation in den Flüchtlingslagern auf den Inseln, das neue griechische Asylgesetz, die illegalen Pushbacks an der griechisch-türkischen Grenze, die seit 2020 zugenommen haben, und die Ausgangssperren für Geflüchtete wegen der Pandemie, die ohne plausible Begründung immer wieder verlängert werden. Auf all das bezieht sich der aktuelle Bericht.
Es gelangen Videos von den Geflüchteten an die Öffentlichkeit, die zeigen, wie sie in Booten ohne Motor oder auf sogenannten Rettungsinseln im offenen Meer sich selbst überlassen werden.
Die Regierung dementiert die Pushbacks. Wie argumentiert sie konkret?
Es kommen kaum mehr Geflüchtete auf den Inseln an. Die Regierung sagt, das habe man der guten Arbeit der griechischen Küstenwache zu verdanken. Gleichzeitig mehren sich aber investigative Berichte internationaler Medien und Meldungen von Nichtregierungsorganisationen. Es gelangen Videos von den Geflüchteten an die Öffentlichkeit, die zeigen, wie sie in Booten ohne Motor oder auf Rettungsinseln im offenen Meer sich selbst überlassen werden. Diese Berichte und Bilder gibt es. Dabei von Fake News zu sprechen, wie es Athen tut, ist zwar einfach. Glaubwürdig ist es nicht.
Inwiefern werden die Grundrechte der Flüchtlinge eingeschränkt?
Die Asylreform vor einem Jahr sorgte für eine Beschleunigung. Dadurch kann aber ein faires Verfahren oft nicht mehr garantiert werden. Anwälte auf Lesbos haben von Fällen berichtet, bei denen schwer traumatisierte Menschen kurz nach ihrer Ankunft ihre Anhörung hatten, obwohl sie psychisch noch gar nicht in der Lage waren, von ihren Erlebnissen zu berichten. Mit dem Ergebnis, dass ihr Antrag abgelehnt wurde.
Es wird auch keine Priorität haben, solange Geflüchtete in Griechenland als eine Art Trojanisches Pferd gesehen werden, mit dem die Türkei versucht, das Land unter Druck zu setzen.
Und die Frist, in der die Geflüchteten schriftlich gegen ihren negativen Bescheid Einspruch einlegen können, wurde auf zehn Tage gekürzt. Hinzu kommt, dass die Hilfen für Menschen, deren Asylverfahren abgeschlossen ist, nach einem Monat eingestellt werden, obwohl viele zu diesem Zeitpunkt immer noch im Camp leben. Auch das kritisiert Amnesty International.
Die EU hat Millionen zugesagt für den Bau neuer Lager. Ist das gut?
Geflüchtete sollen in Wohncontainern untergebracht werden. Diese sollen mit Klimaanlagen ausgestattet sein. Sollte das so sein, würde sich ihre Situation in der Hinsicht tatsächlich verbessern. Doch Hilfsorganisationen sagen, Griechenland müsse vom Konzept dieser grossen Flüchtlingslager wegkommen. Es sei gescheitert. Die Regierung hält aber daran fest.
Das heisst, eine Besserung der Situation zeichnet sich nicht ab?
Eine echte Besserung braucht ein Umdenken in der ganzen Herangehensweise. Das Asylsystem müsste effizient sein, ohne seine Gerechtigkeit zu verlieren. Es müsste Integrationsprogramme für Geflüchtete geben. Die gibt es nicht. Und das wird auch keine Priorität haben, solange Geflüchtete in Griechenland als eine Art Trojanisches Pferd gesehen werden, mit dem die Türkei versucht, das Land unter Druck zu setzen. Griechenland wird weiter schauen, dass es weniger Menschen gibt, die ankommen, und nicht, wie es diesen wirklich geht.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.