In Nicaragua kommt es seit Mitte April immer wieder zu Protesten gegen die Regierung. Auslöser dafür war eine Sozialreform, die inzwischen zurückgezogen wurde. Schlägertrupps griffen Demonstrierende an, inzwischen sind schon hunderte Menschen ums Leben gekommen. Andere verschwanden und tauchten nie wieder auf.
Einer Delegation des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte wurde von Nicaraguas Präsident Daniel Ortega verboten, sich im Land aufzuhalten, nachdem sie einen kritischen Bericht veröffentlicht hatte. Nun diskutierte der UNO-Sicherheitsrat die Situation im Land. Obwohl diese Debatte im Sicherheitsrat kein klares Resultat gebracht habe, sei sie für Ortega unangenehm, sagt Journalist Michael Castritius.
SRF News: Was bedeutet es für die Regierung von Daniel Ortega, dass der UNO-Sicherheitsrat das Thema Nicaragua diskutiert hat?
Michael Castritius: Die Regierung wird an den Pranger gestellt und den Protesten wird wieder internationale Aufmerksamkeit zuteil. Ortega hatte wohl kalkuliert, im Windschatten der Flüchtlingskrise der Venezolaner segeln zu können. Den Rausschmiss der Menschenrechtsgruppe der Vereinten Nationen wollte er etwas versteckt behandeln, so dass es so keine grossen Schlagzeilen gibt. Diese Taktik wird aber durch die Sicherheitsratssitzung ad absurdum geführt. Nun kommt er erst recht in die Schlagzeilen.
Ortega hatte die Arbeitsgruppe des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte selber eingeladen, ihr dann aber den Aufenthalt im Land wieder verboten. Wirft der UNO-Bericht kein gutes Licht auf die Regierung?
Nein, denn der Bericht hat die Menschenrechtsverletzungen der Regierung angeprangert. Er hat eine unverhältnismässige Anwendung von Gewalt gegen Demonstrierende festgestellt. Während der Proteste zwischen dem 18. April und dem 18. August, dem Untersuchungszeitraum, dokumentiert er sogar aussergerichtliche Hinrichtungen, das Verschwindenlassen von Menschen und die massenhafte, willkürliche Inhaftierung inklusive Folter und Misshandlungen. Das sind Menschenrechtsverletzungen, die zum Teil offizielle Sicherheitskräfte Nicaraguas begangen haben, zum Teil aber auch parapolizeiliche Gruppen.
Im Moment sieht es danach aus, dass Ortega sich mit der Polizeimacht und der Macht seiner Schlägertrupps halten kann.
Gemeint sind Schlägertrupps, die mit Motorrädern durch die Gegend knattern und Menschen angreifen, die gegen die Regierung protestieren. Bei diesen Aktionen hat es die meisten Todesfälle gegeben, entweder von solchen Motorradgruppen aus oder sogar von Scharfschützen, die gezielt in die Demonstrationen hineingeschossen haben. Viele der Toten hatten Kopfschüsse.
Die Proteste auf den Strassen dauern an. Wird sich Ortega langfristig halten können?
Im Moment sieht es danach aus, dass er sich mit der Polizeimacht und der Macht seiner Schlägertrupps halten kann. Am Sonntag noch hat es einen grossen Protesttag gegeben, aber die Aktionen werden schwächer. Das hat mit der Gewalt der Regierung zu tun. Viele der Studenten, die am Anfang auf die Strasse gegangen sind, sind inzwischen untergetaucht. Sie können ihr Studium nicht fortsetzen, sie mussten ihre Familie verlassen, sich verstecken, weil sie gesucht werden. Das nimmt einer Protestbewegung auf Dauer die Kraft. Die Menschen in Nicaragua werden es wohl nicht schaffen, die Ortega-Regierung zu beseitigen. Da müsste der Druck von aussen noch weiter verstärkt werden. Die Sitzung des UNO-Sicherheitsrats ist ein erster Schritt.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.