Das kleine Bundesland Thüringen schrieb in Deutschland die grossen Schlagzeilen. Die Wahl des FDP-Mannes Thomas Kemmerich mithilfe der AfD löste einen Skandal aus, mit Schockwellen bis in die Hauptstadt Berlin: Mittlerweile sucht CDU einen neuen Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten: Im Rennen sind Friedrich Merz, Armin Laschet, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Gesundheitsminister Jens Spahn.
Thüringen hatte auch ein direktes Bauernopfer zur Folge: Der Ostbeauftragte der Bundesregierung wurde von Angela Merkel entlassen, weil er Thomas Kemmerich zur Wahl – auch durch die AfD – auf Twitter gratuliert hatte. Neuer Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland ist nun der 44-jährige Sachse Marco Wanderwitz. Im Gespräch mit SRF äussert sich dieser besorgt über die Entwicklungen und fordert in der turbulenten Zeit ein Zusammenstehen der Mitte.
SRF News: Warum ist die AfD für viele in der CDU eine bürgerliche Partei?
Marco Wanderwitz: Wir haben die Situation, dass es sich bei einer starken AfD vor Ort sehr schwer dagegen regieren und gegen sie Regierungsmehrheiten bilden lässt. In Thüringen haben wir gesehen, dass dort die Linkspartei am linken Rand und die AfD am rechten Rand sogar gemeinsam die Mehrheit bilden. Die Motivation ist jedoch gleichwohl nicht akzeptabel und falsch.
Es gibt Leute in der CDU die erzählen, dass der «AfD-Mann» für sie der Kollege von der Feuerwehr darstelle und nicht Björn Höcke sei. Was sagen Sie dazu?
Diese Stimmen höre ich ebenfalls regelmässig. Dies trifft im Übrigen auch auf die Linkspartei zu. Ich könnte Ihnen auch bei mir zu Hause, im Stadtrat oder dem Kreisrat ebenfalls Leute zeigen, an denen es nichts zu kritisieren gibt, ausser dass sie in dieser Partei Mitglied sind.
In Zeiten, in denen die Demokratie im Feuer steht, muss man in der Mitte zusammenrücken und konsensfähig sein.
Die AfD ist in ihrer gesamten Führungsspitze von Rechtsradikalen durchdrungen. Diesen Punkt kann man nicht beiseiteschieben, getreu nach dem Motto: «Da gibt es ja auch Vernünftige». Die AfD hat sich immer weiter radikalisiert. Mit einer Partei, die von Rechtsradikalen durchdrungen ist, kann man nicht zusammenarbeiten.
Manche Medien berichten davon, dass die AfD gezielt versuche, in Vereine oder der Feuerwehr einzudringen und sie zu infiltrieren...
Wir hatten beispielsweise im deutschen Feuerwehrverband in den letzten Wochen sehr intensive Diskussionen darüber. Manche haben dort darauf aufmerksam gemacht, dass in manchen Bundesländern im Bereich der Feuerwehr genau das passiert, was Sie angesprochen haben.
Die CDU hat im Osten oft keine Machtoption, weil sie weder mit der AfD noch mit der Linken kooperieren darf. Was ist die Lösung für dieses Dilemma?
Man muss mit seiner Programmatik und seinen inhaltlichen Angeboten weiter dafür kämpfen, dass es Machtoptionen jenseits dieser beiden gibt. So wie wir sie beispielsweise in Sachsen unter unserer Führung oder in Brandenburg unter Führung der SPD gefunden haben. Zumeist ist das die sogenannte «Kenia-Variante», also CDU, SPD und Grüne. Diese Variante ist keine langfristige Lösung, aber: In Zeiten, in denen die Demokratie im Feuer steht, muss man in der Mitte zusammenrücken und konsensfähig sein.
Wenn die CDU-Chefin Neuwahlen für Thüringen fordert, opfert sie eigentlich die CDU in Thüringen für die CDU Deutschland, weil die CDU in Thüringen bei Neuwahlen abstürzen wird...
Die CDU in Thüringen hat die letzte Wahl auch nicht gewonnen und keinen Regierungsauftrag erhalten. Gleichwohl haben die Thüringer Freunde die letzten Wochen versucht, aus dieser Situation heraus so etwas wie einen Regierungsauftrag abzuleiten. Dort liegt der Grundfehler. Neuwahlen wären momentan sicherlich keine herausragende Option. Deswegen gibt es nun auch den Vorschlag einer überparteilichen Expertenregierung. Das ist momentan das Gebot der Stunde und ich würde mir wünschen, dass insbesondere SPD und Grüne sich nicht bei Herrn Ramelow in Geiselhaft nehmen lassen würden, sondern nochmals darüber nachdenken, ob dieses «ohne eigene Mehrheit in eine Wahl hineingehen» vielleicht auch Teil des Problems ist.
Von den drei Hauptkandidaten für den Posten als neuer CDU-Chef: Wer passt am ehesten zur Stimmungslage der CDU-Wähler im Osten?
Meiner Meinung nach sind es mindestens vier. Ich bin Sachse und Sachsen und Bayern stehen sich nahe. Markus Söder macht als Ministerpräsident in Bayern hervorragende Arbeit, hat als CSU-Parteivorsitzender die CSU hervorragend aufgestellt. Ich könnte mir Markus Söder gut als Kanzlerkandidat vorstellen. Wenn das so wäre, dann wäre natürlich möglicherweise das Anforderungsprofil an einen CDU-Parteivorsitzenden oder eine CDU- Parteivorsitzende ein anderes.
Das Gespräch führte Peter Voegeli.