Die italienische Regierung möchte männliche Asylgesuchsteller, die aus einem sicheren Drittland kommen, nach Albanien abschieben und ihr Verfahren dort abwickeln. Allerdings ist diese Idee rechtlich umstritten. Die italienische Justiz hat das Vorhaben mehrfach blockiert. Auch ein neues Gutachten des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) weckt Zweifel daran, ob das Modell bestehen kann. Der Gutachter, Generalanwalt Richard de la Tour, beschäftigt sich darin damit, wie ein Land als sicheres Herkunftsland definiert wird. Europarechtlerin Sarah Progin-Theuerkauf erklärt die Empfehlung näher und sagt, was dies für das Modell an sich bedeuten könnte.
SRF News: Was kritisiert der Gutachter am italienischen Modell konkret?
Sarah Progin-Theuerkauf: Der Gutachter hat sich nicht generell zur Rechtmässigkeit des ganzen Modells geäussert. Er hat nur etwas dazu gesagt, ob man per Gesetz bestimmte Staaten als sichere Herkunftsstaaten bezeichnen darf und an welche Voraussetzungen diese Sicherheit genau geknüpft ist.
Warum ist dies ein Problem aus Sicht des Gutachtens?
Generell stellte sich die Frage, ob ein Staat ein sicherer Staat sein kann, wenn einzelne Gruppen noch diskriminiert werden. Da gibt es verschiedene Auffassungen und bisher war nicht klar, wie man das handhaben kann.
Mitteilungen des EU-Gerichtshofs
Der Generalanwalt hat nun gesagt, dass es möglich ist, einen Staat generell als sicheren Herkunftsstaat zu bezeichnen, auch wenn er einzelne Gruppen diskriminiert. Man muss diese Gruppen aber klar bezeichnen. Und der Staat muss demokratisch sein.
Versucht Italien so, EU-Recht zu umgehen?
So einfach ist es nicht. Italien kann nur Verfahren ausserhalb seines Staatsgebiets durchführen, wenn es sich an alle Regeln des EU-Rechts hält. Personen, die auf dem Seeweg nach Italien einreisen wollen, werden in Zentren in Albanien gebracht, wenn sie aus bestimmten Staaten kommen. Zwei Bangladescher hatten deswegen geklagt.
Es wird möglich, dass Asylantragsteller die Berichte anfechten können.
Was bedeutet die Kritik des Gutachtens für die Pläne Italiens, Asylverfahren nach Albanien auszulagern?
Es wird auf jeden Fall schwieriger. Italien darf die sicheren Herkunftsstaaten per Gesetz festlegen, die Behörden müssen nicht jeden Einzelfall prüfen. Aber alle Informationen, die zu dieser Beurteilung geführt haben, müssen offengelegt werden. Damit wird es möglich, dass auch Asylantragsteller diese Berichte anfechten können – und bestreiten können, dass sie stimmen.
Ist dieses Modell nun überhaupt noch ein gangbarer Weg für EU-Staaten im Umgang mit Asylbewerbern?
Es ist kein besonders gangbares Modell und kein besonders praktisches. Es kostet sehr viel Geld, diese Zentren ausserhalb der EU zu bauen. Und es bringt eigentlich nicht viel. Denn alle, die in diesen Zentren beurteilt werden, müssen nach italienischem Recht beurteilt werden.
Die juristische Aufklärung dieses ganzen Konzepts ist nicht abgeschlossen.
Wenn sie Schutz bekommen, dann müssen sie nach Italien gebracht werden. Allenfalls wäre für Staaten noch interessant daran, dass man die abgewiesenen Asylsuchenden nicht auf eigenem Staatsgebiet hat. Aber auch da ist nicht klar, was passiert, wenn sie jahrelang festhängen, weil man sie vielleicht nicht zurückführen kann. Klar ist: Die juristische Aufklärung dieses ganzen Konzepts ist nicht abgeschlossen. Es stellen sich noch weitere juristische Fragen, zum Beispiel, ob in diesen Zentren haftähnliche Bedingungen gelten und ob man immer Haft aussprechen darf, oder ob man sie irgendwann freilassen muss. Was mit diesen Männern passiert, die länger in Albanien sind, ist auch offen.
Das Gespräch führte Can Külahcigil.