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Münchner Sicherheitskonferenz «Europa muss sich mehr um seine Sicherheit kümmern»

Die Münchner Sicherheitskonferenz findet vor dem Hintergrund wachsender geopolitischer Spannungen statt. Es scheint, als löse sich gerade die westliche Werte- und Schicksalsgemeinschaft auf. Ein Gespräch dazu mit dem Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen.

Christoph Heusgen

Vorsitzender des Stifterkreises der Münchner Sicherheitskonferenz

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Christoph Heusgen war mehr als ein Jahrzehnt aussen- und sicherheitspolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Mehrere Jahre war er zudem Berlins Botschafter bei der UNO in New York. Heute ist der 66-Jährige Vorsitzender des Stifterkreises der Münchner Sicherheitskonferenz und doziert als Honorarprofessor an der Universität St. Gallen zur Praxis der Aussenpolitik.

SRF News: Den drei grössten militärischen Mächten passt die heutige Weltordnung nicht mehr – die USA unter Donald Trump scheinen sich China und Russland anzuschliessen, die das schon lange so sehen. Wird da gerade die Nachkriegsweltordnung demontiert?

Christoph Heusgen: Die Nachkriegsordnung steht auf jeden Fall unter Druck. Das ist ein Grund mehr, dass wir als Europäer, gerade auch die Schweiz als Sitzstaat vieler internationaler Organisationen, unbedingt daran festhalten. Bis heute jedenfalls ist mir keine neue Ordnung erklärt worden, mit der die Welt künftig besser auskommen würde als mit jener, die 1945 mit der UNO in New York geschaffen wurde.

Sehen Sie noch eine solide Basis für eine freundschaftliche Kooperation zwischen den USA und Europa?

Die Tatsache, dass der amerikanische Vizepräsident seine erste Rede im Ausland hier in München hält, ist ein gutes Signal. Auch ist erneut eine grosse Delegation aus dem US-Kongress angereist. Die transatlantischen Beziehungen haben eine solide Grundlage. Ich glaube, sie wird bestehen bleiben.

Wir können nicht weiterhin von den Amerikanern verlangen, dass sie für uns die Kastanien aus dem Feuer holen.

Aber, und das ist auch klar, das ist die Stunde Europas. Wir müssen uns mehr um unsere Sicherheit kümmern. Wir können nicht weiter von den Amerikanern verlangen, dass sie für uns die Kastanien aus dem Feuer holen. 

«Freiheit ist stärker als Tyrannei»

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Mann hält Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz.
Legende: Reuters/Wolfgang Rattay

Zur aktuellen Situation in der Ukraine sagt Heusgen: «Es ist unglaublich, wie sich die Ukraine gegen diesen russischen Aggressor wehrt. Und wir sehen, dass Russland wirtschaftliche Schwierigkeiten hat. Russland bezahlt einen hohen Preis für seine Aggression. Es geht nun darum, die Ukraine noch stärker zu unterstützen. Dann gewinnen wir – genau wie im Kalten Krieg – letztlich auch diese Auseinandersetzung.

Putin glaubt, er sitzt am längeren Hebel. Ich habe grosses Vertrauen in die Demokratie. Ich habe sehr grosses Vertrauen in die Ukrainer. Ich glaube, dass letztlich die Freiheit stärker ist als die Tyrannei.»

Denken Sie, dass Europa das nun tatsächlich auf die Reihe kriegt?

Ich hoffe es sehr. Wir haben dafür schon vor über 20 Jahren mit den europäischen Verträgen und dem Aufbau von Aussen- und Sicherheitsstrukturen in Brüssel bei der EU eine Grundlage gelegt. Die Institutionen sind vorbereitet. Es ist jetzt die Frage, ob die Mitgliedstaaten den Worten Taten folgen lassen.

Es tun sich aber auch innerhalb Europas Gräben auf. Die Regierungen in Bratislava oder in Budapest stehen Putin wesentlich näher als Brüssel. Auch in grossen Ländern wie Deutschland oder Frankreich haben Parteien Auftrieb, die wenig halten von Völkerrecht, von der Nato, von der EU …

Ja, das muss einem Sorgen bereiten. Die Antwort muss sein, dass die Regierungen überzeugende Arbeit machen. Dass sie auch in der Kommunikation besser werden. Wir sehen heute eine sehr starke Polarisierung in der Gesellschaft. Das hat viel mit sozialen Medien zu tun.

Wir müssen viel mehr erklären – und dafür tun, dass wir die Leute mitnehmen.

Wir müssen die jungen Leute für Aussenpolitik gewinnen. Wir müssen erklären, warum wir mehr Geld für Verteidigung brauchen. Oder warum Putin das tut, was er tut. Wir müssen die Leute mitnehmen. Da müssen wir noch viel mehr tun.

«Ohne deutsche Truppen geht es nicht»

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Dazu, wie es in der Ukraine jetzt weitergehen könnte, sagt Heusgen: «Es jetzt darum geht, einen Friedensvertrag zu bekommen. Ich hoffe sehr auf einen Waffenstillstand, damit das Leiden der Menschen aufhört. Aber wir können uns unmöglich darauf verlassen, dass Wladimir Putin sich an Abmachungen hält. Deswegen braucht es Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Ich glaube auch, dass die Amerikaner sich in der einen oder anderen Form daran beteiligen. Aber die grösste Aufgabe kommt auf uns zu, auf Europa. Das bedeutet, dass auch europäische, auch deutsche Bundeswehrsoldaten in der Ukraine sein werden. Ohne das geht es nicht.»

Die Amerikaner sprechen auf der einen Seite von einer souveränen Ukraine, sind aber nicht bereit zu tun, was dafür nötig wäre …

Das hängt damit zusammen, dass die Amerikaner seit Jahren sagen: Passt auf, Europäer! Wenn es um eure Sicherheit geht, dann müsst ihr mehr leisten. Wir haben das auf dem Papier ansatzweise getan. Doch längst nicht genug.

Europa muss mehr Verantwortung übernehmen – das sagt uns Trump jetzt auf die harte Art.

Wir müssen als Europäer für die Sicherheit auf unserem Kontinent Verantwortung übernehmen. Es ist dem US-Steuerzahler – und zwar unabhängig von Präsident Trump – nicht zuzumuten, dass er dreieinhalb Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgibt, während wir in Europa nicht mal alle bei zwei Prozent sind. Europa muss mehr Verantwortung übernehmen. Trump sagt uns das jetzt auf die harte Art.

Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.

Echo der Zeit, 14.2.2025, 18:00 Uhr ; 

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