Nach wie vor sei die Euphorie in Damaskus gross – doch es stünden enorme Herausforderungen für die neue syrische Führung an, sagt die Analystin Dareen Khalifa. Die wohl dringendste sei die Einbindung der Rebellengruppen in eine nationale Armee, denn im Moment sei Ruhe und Ordnung lediglich durch ein Flickwerk verschiedenster Milizen garantiert.
Die Verhandlungen gingen langsamer voran als von Ahmad Al-Sharaa, dem De-facto-Führer des neuen Syriens, erwartet. Das könnte zu einem Problem werden für seine Miliz, die Hayat Tahrir El-Sham oder kurz HTS, welche dank ihres Kampfes gegen das Assad Regime noch über einen grossen Rückhalt in der Bevölkerung verfüge, so Khalifa.
Doch über die Monate dürfte dieser Rückhalt schwinden. Somit könnte die neue Führung ihr Momentum verlieren, den Takt in Syrien zu bestimmen. Denn im Vergleich zu den türkischen oder den kurdischen Milizen im Land sei die HTS-Miliz relativ klein und eine Konfrontation zwischen den Rebellen dürfte fatale Folgen haben, erklärt die Expertin weiter.
Viele Menschen wünschten sich eine echte Übergangsjustiz, in der Assad-Anhänger sich vor Gericht für ihre Taten verantworten müssten, so Khalifa. Das führe zu Spannungen zwischen der HTS-Führung und Teilen der Bevölkerung oder Milizionären.
Schwieriger Weg zur Demokratie
Einige griffen deshalb zur Selbstjustiz. Bei der alawitischen Minderheit, welcher auch die Assads angehören, löse das Angst aus. Ein Problem für den Zusammenhalt im Land, so Dareen Khalifa, vor allem weil es im Moment noch nationale Ordnungskräfte gebe.
Eine weitere Herausforderung sei der politische Übergang von der Diktatur zu einer Demokratie. Die Vision war es, diesen Prozess im Januar mit einer gross angelegten nationalen Konferenz zu starten, bei der über 1200 Beteiligte aus allen Landesteilen gemeinsam über die Zukunft Syriens beraten sollten.
Auch dieser Prozess verzögere sich. Dennoch wecke diese Konferenz grosse Hoffnungen, sagt Khalifa. Wichtig sei es, eine Art Wegleitung zu schaffen, um die Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen. Die HTS-Führung sei bereit, Macht abzugeben, ist aber auf Unterstützung etwa der UNO angewiesen.
Denn ohne eine breitere Verteilung der Macht mit internationaler Unterstützung würde der gesamte Demokratisierungsprozess als ein von der HTS orchestrierter Vorgang betrachtet werden und hätte kaum Legitimität, sagt die Spezialistin für internationalen Dialog.
Rebellen in richtige Richtung lotsen
Eine dritte, doch bei weitem nicht letzte Hürde, ist die Wirtschaft. Diese müsse wieder angekurbelt werden. Die jüngsten Entscheide der EU, die Sanktionen gegen Syrien zu lockern, sei ein Schritt in die richtige Richtung.
Denn die Sanktionen richteten sich im Prinzip gegen ein Regime, das nicht weiter existiere. Es sei wichtig, nun neu Mass zu nehmen und die neue Führung an ihren Taten zu messen, ohne ihr gleich von Beginn weg Knüppel zwischen die Beine zu werfen, betont die Expertin.
Wenn der Westen nicht schnell genug die Sanktionen aufhebe, könnte das den aktuellen Transformationsprozess untergraben und allenfalls radikaleren Gruppierungen im Land Aufwind geben.
Für Dareen Khalifa ist klar: Syrien hat jetzt die Chance, eine neue Zukunft aufzubauen – und dabei führe kein Weg an den aktuellen Machthabern vorbei. Alles, was man machen könne, sei, die Rebellen mit geeigneten Werkzeugen in die richtige Richtung zu stupsen.