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Nach dem Magdeburger Anschlag Die Todesfahrt, viele Fragen und das falsch geparkte Polizeiauto

Die Festung hatte eine metergrosse Lücke. Auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt gab es zwischen den Betonblöcken eine breite Zufahrt. Für den Notfall, für die Ambulanz. Schliesslich hätte auf dem Markt jemand einen Herzinfarkt oder einen anderen medizinischen Notfall haben können. Die Festung sollte nicht zur Todesfalle werden.

Dass sie es trotzdem wurde, dass der Täter mit seinem BMW-Geländewagen in den Markt fahren konnte, hat mit einem falsch positionierten Polizeifahrzeug zu tun: Die Beamten hätten ihren Bus vor die Not-Zufahrt stellen müssen, mit laufendem Motor, so stand es im Einsatzbefehl. Doch der Wagen stand ein paar Meter daneben an einem Taxistand. Warum? Deutschland will da jetzt Klarheit.

Betonklötze, eiserne Poller: Weihnachtsmärkte gleichen seit Jahren Festungen, erst recht nach dem Anschlag auf den Berliner Markt am Breitscheidplatz im Dezember 2016. Damals tötete ein Islamist 16 Menschen, verletzte 67. Mit einem Lastwagen fuhr der Mann mitten in die Menge. Eine Katastrophe.

Warum funktionierte das Sicherheitskonzept nicht?

Warum also schaffte es der Täter mit seinem Auto in den Weihnachtsmarkt? Auf einer Länge von 400 Metern in die feiernde Menschenmenge zu fahren? Fünf Menschen zu töten und dutzende teils schwer zu verletzen? Warum sahen die Geheimdienste seine Drohungen auf Twitter nicht? Warum schlug niemand Alarm? Genau solche Fragen sollen nun geklärt werden.

Im Bundestag diskutierte heute der Innenausschuss, man will wissen: Wer hat wann welches Sicherheitskonzept abgesegnet? Gab es Warnungen – und warum wurden diese nicht gehört? Bis ins letzte Detail will man Antworten – und die wird es irgendwann auch geben.

Gleichzeitig ist Wahlkampf in Deutschland, am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt. Der Anschlag von Magdeburg wird dabei eine wichtige Rolle spielen, das ist jetzt schon absehbar, in der kurzen politischen Atempause zwischen den Jahren.

Die CDU zum Beispiel will härtere Abschieberegeln – so sollen kriminelle Asylsuchende nach zwei Straftaten abgeschoben werden, ihren Aufenthaltsstatus verlieren. Einmal schwarz Bahnfahren, das könne ja passieren – aber beim zweiten Mal müsse Schluss sein, sagt CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann im Morgenradio.

Im Wahlkampf überbieten sich die Parteien mit Forderungen

Auch die SPD fordert härtere Regeln, schärfere Sicherheitsgesetze. Denn es gehört zur bitteren Wahrheit: Der Täter, ein 50-jähriger Arzt aus Saudi-Arabien, fiel mehrfach auf. Er drohte mit Anschlägen, verstieg sich in den Sozialen Medien zu kruden Anschuldigungen gegen den deutschen Staat. Offenbar hatte der Psychiater selber psychische Probleme – und fiel damit durch sämtliche behördlichen Raster.

Man wollte ihm zwar mitteilen, dass er sich zurückhalten solle – eine sogenannte «Gefährder-Ansprache» machen. Aber leider: per Post. Weil er nicht zu Hause war, als die Beamten bei ihm klingelten. Niemand hielt es für nötig, den Mann genauer zu beobachten. Es gibt Datenbanken für Linksextreme, für Rechtsextreme und für Islamisten. Aber keine für Leute wie den Täter aus Magdeburg.

CDU-Generalsekretär Linnemann fordert nun auch einen besonderen Blick auf Menschen mit psychischer Erkrankung. Ob das dann irgendwie rechtssicher gemacht werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Zunächst ist das alles Wahlkampf-Getöse.

Aber je schneller die Antworten da sind, desto sachlicher kann diskutiert werden. Dies zumindest die Hoffnung.

Stefan Reinhart

Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten

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Stefan Reinhart ist Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten und Chef vom Dienst im Newsroom Zürich. Zuvor war er Deutschland-Korrespondent für SRF.

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SRF 4 News, 30.12.2024, 16 Uhr

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