Nach der gezielten Tötung von Aiman al-Sawahiri, dem Chef der Al-Kaida durch die USA stellt sich die Frage, wie die USA überhaupt wissen konnten, wo er lebt. Die freie Journalistin Stefanie Glinski ist der Meinung, dass Mitglieder der Taliban ihnen geholfen haben müssen.
SRF News: Sie wohnen in Kabul im gleichen Quartier, in dem der Al-Kaida-Chef gelebt hat. Woher kannten die USA seinen Aufenthaltsort?
Stephanie Glinski: Ich und viele Experten gehen davon aus, dass zumindest ein Teil der Taliban dazu beigetragen hat, dass dieser Drohnenangriff durchgeführt werden konnte.
Afghanistan-Experten gehen davon aus, dass andere Mitglieder der Taliban die Anwesenheit von al-Sawahiri leid waren und den USA von seiner Anwesenheit erzählt haben.
Die Spaltungen innerhalb der Taliban sind offenkundig. Natürlich standen nicht alle Taliban dahinter. Ein Teil hat al-Sawahiri geduldet, beim Haqqani-Netzwerk zum Beispiel ist es ganz klar. Al-Sawahiris Anwesenheit in Kabul scheint dies zu bestätigen. Experten gehen davon aus, dass andere Mitglieder der Taliban seine Anwesenheit leid waren und den USA davon erzählt haben. Die Taliban wussten auf jeden Fall, dass der Al-Kaida-Chef dort wohnte. In dem Viertel wurden nämlich seit Monaten Hausdurchsuchungen durchgeführt, ebenfalls bei mir.
Weshalb gehen Sie davon aus, dass die Taliban darüber informiert waren?
Die Taliban-Bewegung ist gespalten. Es gibt auf der einen Seite zum Beispiel Mullah Abdul Ghani Baradar, der das Doha-Abkommen unterschrieben hat. Auf der anderen Seite stehen die bereits erwähnten Haqqanis, die ideologisch mit den Taliban nicht immer übereinstimmen. Die Haqqanis haben lange mit Al-Kaida kooperiert und es ist davon auszugehen, dass dies noch der Fall ist.
Mit den USA zu kooperieren, kann auch den Taliban zugutekommen.
Mit den USA zu kooperieren, kann auch den Taliban zugutekommen. Die USA halten weiterhin Milliarden von afghanischen Geldern unter Verschluss. Viele Taliban sind sanktioniert. Während sich die Taliban weiterhin öffentlich gegen die USA aussprechen, kann ich mir vorstellen, dass einige die Kooperation mit den USA als wichtig ansehen. Sie möchten die Freigabe der Gelder und auch die Aufhebung der Sanktionen erreichen.
Haben sich die Taliban zum Drohnenangriff geäussert?
Ja, ein Sprecher hat den Angriff verurteilt. Aber es wurde sehr wenig dazu gesagt. Dieses politische Spiel muss jetzt gespielt werden: Die Taliban beschuldigen die USA, das Doha-Abkommen gebrochen zu haben, und die USA beschuldigen die Taliban, das Doha-Abkommen ebenfalls gebrochen zu haben. Dass sie sich so knapp geäussert haben, zeigt auch, dass zumindest ein Teil der Taliban davon wusste.
Haben die Hausdurchsuchungen im Quartier und bei Ihnen zu Hause haben einen Zusammenhang mit der Anwesenheit al-Sawahiris?
Ja. Die Taliban haben Listen gemacht, wer in welchem Haus wohnt, welche Ausländer, welche Abgeordneten und wer sonst.
Dieser Angriff zerreisst die ohnehin schon gespaltenen Taliban weiter.
Einige der Taliban befürworten eine Annäherung an die USA. Andere lehnen dies strikte ab. Welche Folgen könnte dieser Drohnenangriff für die Taliban haben?
Dieser Angriff zerreisst die ohnehin schon gespaltenen Taliban weiter. Es gibt schon seit Beginn ihrer Herrschaft viele interne Streitereien. Es geht um Fragen, mit wem kooperiert werden soll, ob Exporte nach Pakistan gehen sollen, ob Mädchen zur Schule gehen sollen. Das sind alles Themen, bei denen sich die Taliban nicht einig sind.
Das ist eine schwere Krise in der Organisation. So gespalten, wie diese Regierung momentan ist, kann sie nicht geführt werden. Und die Ausländer, die momentan in Kabul wohnen, machen sich Sorgen und fragen sich: Wie viele andere Mitglieder von Al-Kaida sind in Kabul und in Afghanistan. Ist das gefährlich?
Das Gespräch führte Claudia Weber.