Seit Mitte September gehen die Menschen im Iran auf die Strasse. Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi nennt das, was in Teheran und anderen Städten geschieht, eine «Revolution».
Doch mittlerweile sind Hunderte bei den Protesten ums Leben gekommen, Zehntausende wurden verhaftet, Hunderte sind angeklagt, und vier Todesurteile wurden vollstreckt. Kommt der Widerstand nun zum Erliegen? Oder ist das erst der Anfang von etwas Grösserem? Ein Experte und eine Expertin ordnen ein.
«Auch 1979 dauerte es 13 Monate»
Gemäss Kitaneh Fitzpatrick, Iran-Kennerin beim Thinktank American Enterprise Institut in Washington, haben die Proteste im Verlauf des Dezembers leicht abgenommen. Am 8. Januar hab es aber eine neuerliche Spitze landesweiter Proteste gegeben. Anlass war der dritte Jahrestag eines durch eine iranische Rakete abgeschossenen Passagierflugzeugs.
Der deutsch-iranische Experte Ali Fathollah-Nejad spricht von einer Pattsituation, die zurzeit herrsche. «Einerseits gelingt es dem iranischen Regime nicht, die lodernden Flammen des Protestes zu löschen. Auf der anderen Seite ist die Protestbewegung nicht in der Lage, das Regime zu stürzen.»
Im durch staatliche Überwachung geprägten Land stellt nicht zuletzt die Logistik eine grosse Herausforderung dar. «Ein Problem, weshalb die Proteste zuletzt abnahmen, war, dass die verschiedenen Organisatoren uneinheitlich zu Aktionen aufriefen, was zu Verwirrung führte», sagt Kitaneh Fitzpatrick.
Doch gemäss Fathollah-Nejad ist ein gewisses Auf und Ab bei Protestbewegungen üblich: «Auch die islamische Revolution 1979 erstreckte sich über einen längeren Zeitraum – insgesamt 13 Monate.»
Protestwellen häufen sich
In den letzten 20 Jahren ist es im Iran mehrfach zu Protesten gekommen: 2009 brach die sogenannte «Grüne Revolution» aus, und auch in den Jahren 2017, 2018 und 2019 brach die Wut über die wirtschaftliche Lage im Land und die ausbleibenden Reformen auf den Strassen aus.
Für diese Häufung verantwortlich seien systemische Zwänge, im iranischen System, die dazu führten, dass die Bevölkerung sich nur mittels Protesten bemerkbar machen kann, so Fathollah-Nejad. «Wir haben eine irreversible Kluft zwischen Staat und Gesellschaft. Das Regime kann die zentralen Probleme des Landes nicht lösen.»
Gerade die junge Generation sei massiv betroffen von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Iran. Es seien vor allem sie, welche die Proteste anführten, sagt Kitaneh Fitzpatrick. «Es handelt sich um Teenager und Studenten. Sie werden nicht vergessen, welche Gewalt ihnen das Regime angetan hat.»
Was sind die Erfolgschancen der Proteste?
Grundlegende Reformen vonseiten des Regimes dürften gemäss Fathollah-Nejad auch in Zukunft Wunschdenken bleiben. «In Europa wurden immer wieder die «Reformer» als Hoffnungsträger gesehen, doch diese sind stark mit dem Regime verbunden und müssen dessen Bedürfnisse befriedigen.»
Es bleibt also der Protest auf der Strasse. Gemäss Politologen der Harvard Universität hat die Effizienz von Protestbewegungen weltweit jüngst abgenommen. Die Vernetzung mit Gleichgesinnten ist durch Social Media einfacher geworden – einen politischen Wandel anzustossen aber nicht. Nur wer Verbündete im Machtapparat hat, erhöht seine Chancen langfristig.
Dem stimmt auch Fitzpatrick zu. «Zeichen einer Entfremdung bei Teilen des Regimes oder gar innerhalb der Sicherheitskräfte würden eine völlig neue Dynamik bedeuten».