Seit Monaten demonstrieren in Iran Zehntausende gegen das autoritäre Regime. Sie werden verfolgt, verhaftet und zum Teil hingerichtet. Die Flucht ist schwierig. Einige versuchen es dennoch, darunter viele Verletzte. Ausser Gefahr sind sie in den nordirakischen Kurdengebieten nicht, wie «Spiegel»-Journalist Christoph Reuter nach Treffen mit Geflüchteten berichtet.
SRF News: Welche Menschen sind geflohen?
Christoph Reuter: Überwiegend jene, die in Iran bereits von den Geheimdiensten und Revolutionsgarden gesucht werden. Ihnen bleiben als Ausweg nur die alten Schmuggelrouten im iranisch-irakischen Grenzgebiet in Kurdistan. Das ist bei winterlichen Verhältnissen im bergigen Gebiet besonders dramatisch. Die Verletzten werden auf Eseln transportiert oder müssen getragen werden.
Wer mit einer spezifischen Schrotkugel-Verletzung in ein iranisches Spital geht, dem droht die sichere Verhaftung.
An eine medizinische Versorgung vor der Flucht ist kaum zu denken. Denn wer mit den spezifischen Schrotkugel-Verletzungen aus Jagdflinten in ein iranisches Spital geht, dem droht die sichere Verhaftung, selbst wenn die Ärzte behandeln wollen. Verletzte wurden zum Teil direkt in die Gefängnisse verschleppt und gefoltert. Das gilt für die Kurdengebiete Irans wie auch für Teheran, wo die Geheimdienste vor den Spitälern stehen.
Was erwartet die Geflüchteten in Irak?
Sie werden zwar nicht mehr direkt verhaftet. Doch die Macht der iranischen Geheimdienste und Milizen aus den Zeiten des Bürgerkriegs und des Kampfs gegen den IS ist enorm.
Selbst in der Autonomie-Region Kurdistan ist die Angst der irakischen Behörden so gross, dass sie Iranerinnen und Iraner nicht offiziell in die Spitäler lassen. Sie werden bestenfalls kurz behandelt. Der irakische Geheimdienst rät ihnen, weiterzuziehen, damit die iranischen Informanten nichts über ihre Anwesenheit erfahren.
Wie leben die Menschen aus Iran in Irak?
Wir haben über langjährige Vertrauenskontakte Geflohene in Privathäusern getroffen. Darunter einen iranischen Tierarzt, der Demonstranten notversorgt hat und auf der Fahndungsliste steht. Er lag mit 138 Schrotkugeln im Leib auf drei Wolldecken und wurde mit Antibiotika halbwegs stabil gehalten. Andere leben in Dörfern beziehungsweise in Zelten in der Umgebung. Denn die iranische Luftwaffe bombardiert in der Nacht auch irakische Camps.
Hilft die irakische Bevölkerung den Geflüchteten?
Ganz viele tun dies. Sie sagen: Wir sind alle Kurden, und wir alle sprechen die in Nordostirak und Nordiran verbreitete kurdische Sprache Sorani.
Sogar der normale Schmuggel ist fast unmöglich geworden, da auf alles geschossen wird.
Viele verfolgen die Nachrichten und haben Verwandte auf der anderen Seite. Die normale Bevölkerung bietet also ein Mindestmass an Hilfe und Sicherheit.
Gibt es für Iranerinnen und Iraner keine anderen Fluchtmöglichkeiten?
Afghanistan fällt aus nachvollziehbaren Gründen weg. In Pakistan kennen die iranischen Geflüchteten schlichtweg niemanden. Zudem ist die dortige Schmuggelgegend berüchtigt für Geiselnahmen. Die klassischen Fluchtrouten führten immer über Kurdistan, entweder in die Türkei oder nach Irak. Doch dort haben die iranischen Revolutionsgarden massiv aufgestockt und sind zivil und mit Scharfschützen und Drohnen im Einsatz. Sogar der normale Schmuggel ist fast unmöglich geworden, da auf alles geschossen wird.
Das Gespräch führte Silvia Staub.