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Freigelassene Palästinenser Was bedeutet Administrativhaft in Israel?

90 palästinensische Gefangene hat das israelische Militär in der Nacht auf Montag freigelassen. Laut israelischen Medien waren darunter 69 Frauen und minderjährige Jugendliche. Die restlichen 21 seien Männer, die nicht an den Terrorakten vom 7. Oktober beteiligt waren, hiess es. SRF-Auslandredaktorin Susanne Brunner über die Gründe, warum sie überhaupt in Haft waren.

Susanne Brunner

Leiterin Auslandredaktion

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Susanne Brunner war für SRF zwischen 2018 und 2022 als Korrespondentin im Nahen Osten tätig. Sie wuchs in Kanada, Schottland, Deutschland und in der Schweiz auf. In Ottawa studierte sie Journalismus. Bei Radio SRF war sie zuerst Redaktorin und Moderatorin bei SRF 3. Dann ging sie als Korrespondentin nach San Francisco und war nach ihrer Rückkehr Korrespondentin in der Westschweiz. Sie moderierte auch das «Tagesgespräch» von Radio SRF 1. Seit September 2022 ist sie Leiterin der Auslandredaktion von Radio SRF.

Hier finden Sie weitere Artikel von Susanne Brunner und Informationen zu ihrer Person.

Warum waren diese Leute in israelischer Haft?

Das wissen die Inhaftierten oft selbst nicht. Israel kann Palästinenserinnen und Palästinenser festnehmen, ohne ihnen den Grund für ihre Verhaftung zu nennen. Und die israelischen Streitkräfte tun das auch in jenem Teil des besetzten palästinensischen Westjordanlandes, das eigentlich – nach internationalen Abkommen – unter der Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde ist. Also etwa in Ramallah, wo sich der Sitz dieser Behörde befindet. Israel nennt das dann «Administrativhaft».

Was bedeutet «Administrativhaft»?

Aus israelischer Sicht ist es eine Sicherheitshaft. Als Sicherheitsrisiko kann jemand schon wegen eines Posts in den sozialen Medien gelten, wegen Opposition zum Gazakrieg, oder wegen der Teilnahme an einer pro-palästinensischen Demonstration. Auch Familienmitglieder von anderen Inhaftierten können als Sicherheitsrisiko gelten. Die Spannbreite der möglichen Verdachtsfälle ist gross. Das zeigt auch die Zahl der Verhafteten: laut israelischen und palästinensischen Organisationen, die sich für die Gefangenen einsetzen, hat Israel seit dem 7. Oktober 2023 allein im Westjordanland mehr als 7000 Palästinenserinnen und Palästinenser verhaftet. Hinzu kommen Hunderte aus dem Gazastreifen. Von diesen sind die wenigsten verurteilte Terroristen. Israels Administrativhaft wird seit Jahren von Menschen­rechts­organisationen kritisiert.

Wie rechtfertigt Israel dieses Vorgehen?

Israel beruft sich auf Artikel 78 der vierten Genfer Konvention, in der es um den Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten geht. Kurz zusammengefasst: Um seine Zivilbevölkerung zu schützen, dürfe Israel die Administrativhaft anwenden, wenn es jemanden als Sicherheitsrisiko betrachtet. Das Problem ist, dass diese Haft fast ausschliesslich für Palästinenserinnen und Palästinenser angewandt wird. Gewalttätige jüdische Siedler werden kaum in Administrativhaft genommen. Diese Administrativhaft, die Monate oder Jahre ohne Anklage dauern kann, weckt unter Palästinenserinnen und Palästinensern enorme Wut und wird als sehr ungerecht empfunden.

Was ist die Genfer Konvention?

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Die vier Genfer Konventionen von 1949 und die zwei Zusatzprotokolle von 1977 sowie das Zusatzprotokoll von 2005 bilden den Kern des humanitären Völkerrechts. Sie schützen Personen, die sich nicht oder nicht mehr an den Kampfhandlungen beteiligen. (EDA)

Werden bald noch mehr Administrativ-Häftlinge freigelassen?

In einer ersten Phase des Abkommens sind es vor allem Administrativ-Häftlinge, welche freikommen – wenn die Liste stimmt, welche einige Medien veröffentlicht haben. Darunter sind viele Häftlinge aus Gaza, die sich nicht am Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 beteiligt haben. Aber es sollen auch verurteilte Terroristen freikommen, die lebenslange Haftstrafen absitzen, weil sie an Anschlägen beteiligt waren, bei denen dutzende Israelis ums Leben kamen.

SRF 4 News, 21.01.2025. 06:53 ; 

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