Im Gazastreifen kehren Hunderttausende Menschen in ihre verwüsteten Wohngebiete im Norden zurück. Die Notfallärztin Melanie Premstaller arbeitete diesen Winter für Ärzte ohne Grenzen in einem Spital im Zentrum des Gazastreifens. Die Südtirolerin beschreibt auf eindrückliche Weise, was sie dort erlebt hat.
SRF News: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Menschen sehen, die zu ihren früheren Wohngebieten zurückkehren?
Melanie Premstaller: Während meiner Zeit im Gazastreifen haben die Menschen ständig von einer Waffenruhe geträumt. Sie erzählten mir, dass sie zurück in den Norden gehen wollten, zurück zu ihren Familien, Häusern und Wohnungen. Es ist schön zu sehen, dass die Menschen jetzt zurückkehren können. Sie werden aber auch realisieren, was alles zerstört wurde und was sie verloren haben. Es wird eine sehr schwierige Zeit für sie.
Unter welchen Umständen haben Sie in dem Spital gearbeitet?
Die Umstände dort waren sehr schwierig. Es standen nur 200 Betten zur Verfügung, hospitalisiert waren aber zwischen 600 und 800 Menschen. Viele schliefen in den Gängen, jeder freie Platz war mit Betten und Matratzen ausgelegt. Die Mittel zur Versorgung reichten nicht aus, um die vielen verletzten Patienten und solche mit medizinischen Problemen zu versorgen.
Es hiess, die Hamas habe Spitäler als Schutzschilde missbraucht. Haben Sie das selbst erlebt?
Ich persönlich habe nie beobachtet, dass die Hamas im Spital präsent war. Auch von anderen Kollegen habe ich nie Ähnliches gehört. Wenn Ärzte ohne Grenzen etwas in dieser Richtung erfahren würde, müssten wir das öffentlich kommunizieren und unsere Präsenz überdenken.
Inwieweit hatten Sie mit israelischen Soldaten zu tun?
Das Al-Aksa-Spital befindet sich in der humanitären Zone. In diesem Bereich habe ich nie israelische Soldaten gesehen. Der einzige Kontakt, den ich mit ihnen hatte, war an Grenzübergängen und Kontrollposten.
Zum Abschied haben die meisten Menschen zu mir gesagt, ich solle wiederkommen. Aber zu einer besseren Zeit, wenn Frieden herrscht.
Womit waren Sie während Ihres Einsatzes vor allem konfrontiert?
Wir als Ärzte ohne Grenzen unterstützten im Al-Aksa-Spital die Notfallstation. Vor allem den chirurgischen Notfall, also den Bereich, in dem verletzte Patienten versorgt werden. Hier waren wir mit allen möglichen Kriegsverletzungen konfrontiert, etwa solchen, die von Explosionen oder Schüssen verursacht wurden. Daneben gab es Patienten, die beispielsweise Opfer von Verkehrsunfällen geworden sind. Häufig gab es auch medizinische Notfälle wie Herzinfarkte, Lungenembolien oder schwere Infektionen. Unter den gegebenen Umständen war es sehr schwierig, diese Patienten zu behandeln.
Sie waren schon in Krisengebieten wie dem Irak, Sudan und Jemen als Notfallärztin im Einsatz. War die Arbeit im Gazastreifen anders?
Zum einen war die Arbeit menschlich emotionaler. Zum anderen ist das Ausmass des Mangels und das Leid, das in der gesamten Bevölkerung herrscht, sehr viel grösser als an den anderen Orten, an denen ich tätig war. Die Menschen sind gefangen in dieser Situation und haben keine Möglichkeit, zu entkommen.
Welches Bild, welcher Moment Ihres Einsatzes im Gazastreifen wird Ihnen bleiben?
Es ist weniger ein Moment, sondern der allgemeine Eindruck der Bevölkerung, der mir bleiben wird. Die Menschen sind unglaublich warmherzig und waren sehr dankbar dafür, dass wir da sind und helfen. Das gibt ihnen das Gefühl, dass sie nicht alleine gelassen werden. Zum Abschied haben die meisten zu mir gesagt, ich solle wiederkommen. Aber zu einer besseren Zeit, wenn Frieden herrscht.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.