Die Chefin des Internationalen Roten Kreuzes war kürzlich in Gaza und Syrien. Das IKRK ist in beiden Regionen gefordert.
SRF News: Seit Sonntag herrscht in Gaza eine Waffenruhe. Seither kommen viel mehr Hilfslieferungen in das Gebiet. Was wissen Sie über die humanitäre Situation und die Versorgungslage?
Mirjana Spoljaric: Ich war noch vor der Waffenruhe in Gaza. Was ich dort vorgefunden habe, lässt sich nicht beschreiben. Die Menschen haben eigentlich nichts mehr. Ich bin sehr erleichtert darüber, dass jetzt mehr Güter nach Gaza gelangen.
Hat sich die Lage der Menschen bereits verbessert, was hören sie diesbezüglich von ihren Mitarbeitern vor Ort?
Natürlich ist es für die Menschen eine Erleichterung. Nicht nur, wegen der Hilfsgüter, sondern auch, weil nicht mehr gekämpft wird. Eine Frau hat mir gesagt: «Wir frieren, haben Angst und Hunger.»
Die Angst und der Hunger können jetzt gelindert werden. Aber wir brauchen stärkere Massnahmen. Nichts in Gaza ist im Moment mit dem vergleichbar, was wir Menschenwürde nennen.
Was haben Sie selbst für einen Eindruck vor Ort erhalten?
Gaza ist zerstört. Die Menschen leben auf kleinstem Raum, eingepfercht in Zelten. Es braucht dringend stabilere Behausungen für die Menschen. Sie brauchen regelmässigen und genügenden Zugang zu sauberem Trinkwasser. Sie brauchen Hygiene, sie brauchen aber auch ein gewisses Mass an Privatsphäre. All das ist im Moment nicht gegeben.
Das IKRK hat den Transfer der israelischen Geiseln und palästinensischen Gefangenen übernommen. Können Sie mir diese Operation beschreiben?
Es war eine sehr heikle Operation. Die Umstände in Gaza erschweren es. Explosives Material ist überall verstreut, viele Strassen daher unpassierbar.
Gewisse Dinge müssen wir dafür in Kauf nehmen. Wir lassen die Kriegsparteien aber immer in klaren Worten wissen, was angebracht ist und was nicht.
Wir verlassen uns auf das Vertrauen, das dem Emblem des Roten Kreuzes entgegengebracht wird. Wir können so durchfahren, ohne angegriffen zu werden. Aber dies ist nicht gegeben und muss sorgfältig mit beiden Seiten vorbereitet werden.
Die drei Frauen wurden umringt von bewaffneten und maskierten Kämpfern ans IKRK übergeben. Für viele war das eine mediale Inszenierung der Hamas. Haben sie sich da instrumentalisiert gefühlt?
Es ist mir wichtig, dass wir nicht instrumentalisiert werden. Aber noch wichtiger ist mir, dass wir unschuldigen zivilen Opfern helfen können. Das haben wir getan. Gewisse Dinge müssen wir dafür in Kauf nehmen. Wir lassen die Kriegsparteien aber immer in klaren Worten wissen, was angebracht ist und was nicht. Eine Garantie haben wir aber nie.
Gemäss dem Abkommen zwischen Israel und Hamas war das nur der erste Austausch von mehreren. Sind Sie optimistisch, dass sich die Parteien an das Abkommen halten werden?
Das Abkommen muss halten, denn das Leid des Menschen steht hier im Vordergrund. Sowohl die palästinensische als auch die israelische Zivilbevölkerung haben zu stark gelitten. Es steht ihnen zu, dass dieses Abkommen hält.
Das Gespräch führte Janis Fahrländer