Der Aufschrei im Westen ist gross nach dem gerichtlichen Arbeitsverbot für die Organisationen von Putin-Kritiker Alexej Nawalny. Das Ganze habe Strategie und solle dem Putin-Regime die Macht sichern, sagt der Russlandexperte Fabian Burkhardt.
SRF News: Wie beurteilen Sie das Verbot der Nawalny-Organisationen?
Fabian Burkhardt: Das Urteil zeigt, dass in Russland das Innenpolitik-Management von der zivilen Bürokratie an die Sicherheitsorgane übergegangen ist. Zudem muss das Urteil im Lichte des Gesetzes gesehen werden, welches es Unterstützern extremistischer Organisationen verbietet, an Wahlen teilzunehmen. Es öffnet damit Tür und Tor zur weiteren Verfolgung von Unterstützern Nawalnys.
Ist Nawalny für Putin wirklich derart gefährlich, dass der Kreml so grobes Geschütz auffährt?
Nawalny ist für den Kreml aus verschiedenen Gründen gefährlich: Zunächst ist er als Person furchtlos, sein Wille ist nicht zu brechen – wie seine Rückkehr nach Russland nach dem Giftanschlag zeigt, obwohl er mit einer Haftstrafe rechnen musste. Auch ist es ihm gelungen, in den sozialen Medien eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Zudem hat er es geschafft, russlandweit ein regionales Netzwerk aufzubauen, aus dem Kandidaten an den Wahlen teilnehmen könnten und das Proteste organisieren kann.
Nawalnys Wille ist nicht zu brechen.
Mehr als 200'000 Russinnen und Russen haben für Nawalny gespendet, über 400'000 haben sich für Proteste mit ihm solidarisiert. Vor allem hat er mit «Smart Voting» eine Wahlstrategie entwickelt, die sehr wirksam ist und der Regierungspartei von Putin deutlichen Schaden zufügen kann.
Wie lautet die Botschaft des Gerichtsurteils?
Sie ist deutlich: Es kann niemand an Wahlen in Russland teilnehmen, der andersdenkend ist. Die Strategie ist, Oppositionelle bei Wahlen auf allen Ebenen auszuschliessen. Es geht ganz klar um Abschreckung.
Es geht ganz klar um Abschreckung der Opposition.
So sind viele Nawalny-Anhänger schon im Gefängnis oder sie sind ins Ausland geflohen. Seit Monaten ist eine extreme Repressionswelle im Gang, die man im Kontext der Duma-Wahl vom kommenden September sehen muss.
Ist Russland auf dem Weg in eine Diktatur?
Grundsätzlich bezeichnen wird Russland als «elektorales autoritäres Regime». Es ist also ein autoritäres Regime, in dem Wahlen eine grosse Rolle spielen. Doch die Wahlen sind nicht frei und fair.
Wahlfälschung hat in den letzten Jahren zugenommen, ebenso die Repression gegen Oppositionelle.
In den letzten Jahren haben sich die Mittel geändert, mit denen das Regime die Wahlen angeht: Wahlfälschung hat zugenommen, ebenso die Repression gegen Oppositions- und unabhängige Kandidaten. Das spricht Bände über die Eigenwahrnehmung des Regimes, darüber, wie hoch – oder tief – die Unterstützung für die Regierung im Volk ist oder wie sie die Möglichkeiten von oppositionellen Strukturen einschätzt.
Wohin führt diese Entwicklung?
Bei der Duma-Wahl im September werden keine oppositionellen Kandidaten teilnehmen. Für das Putin-Regime besteht vorerst also keine Gefahr. Aber das führt natürlich dazu, dass die Unzufriedenheit in der breiten Bevölkerung zunehmen wird, weil sie in den politischen Strukturen immer weniger gut repräsentiert ist.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.