Die neue Omikron-Variante des Coronavirus hält die Welt in Atem. Erstmals entdeckt wurde sie vor knapp einer Woche in Südafrika. Mittlerweile wurden in verschiedenen Ländern Fälle nachgewiesen, so auch in der Schweiz. Doch nur, weil diese neue Variante zunächst in Südafrika festgestellt wurde, heisst das nicht automatisch, dass Omikron auch von dort kommt.
Vieles zur neuen Corona-Mutante ist derzeit noch unklar. Forscherinnen und Forscher vermuten aber, dass sich Omikron womöglich Anfang Oktober in Südafrika zu verbreiten begann. Laut SRF-Wissenschaftsredaktor Daniel Theis lässt sich das aus kleinen Veränderungen schliessen, die das Virus seither durchgemacht hat. «Wie es aber nach Südafrika gelangte oder ob es tatsächlich dort entstanden ist, ist eine andere Frage.»
Klar ist: Omikron hat im Vergleich zu anderen Varianten des Coronavirus sehr viele genetische Veränderungen durchgemacht.
Die Frage sei nun, über welchen Zeitraum diese entstanden seien, erklärt Theis: «Womöglich ist dies über längere Zeit geschehen, einem Jahr oder noch mehr. Denn Omikron unterscheidet sich deutlich von anderen Varianten.» An Orten mit ungenügendem Monitoring sei es möglich, dass die Mutante auch über einen solch langen Zeitraum nicht bemerkt wurde.
Ist das Virus in einem HIV-Patienten mutiert?
Die andere Variante, die Virologen derzeit in Betracht ziehen: Das Virus ist in einer einzigen Person entstanden, die über lange Zeit infiziert war. Dies ist bei immungeschwächten Menschen möglich, so zum Beispiel bei HIV-Patienten.
In ihnen könnte sich das Virus über Wochen und Monate gehalten haben, ohne vom Immunsystem neutralisiert zu werden – und währenddessen eine Art Evolution innerhalb des Wirts durchgemacht haben.
Ob sich die eine oder andere Theorie über die Entstehung von Omikron jemals bestätigen lässt, ist laut Theis aber noch unklar.
Man müsste ein Land komplett abriegeln, um die Verbreitung von Omikron zu verhindern – und auch dann wäre es zu spät. Denn die ersten Funken sind schon da.
Mittlerweile konnte Omikron in mehreren europäischen Ländern in Testproben nachgewiesen werden, die schon vor der Warnung der südafrikanischen Gesundheitsbehörden entnommen wurden. Diese heisst aber lediglich, dass das Virus schon länger in Europa angekommen ist – und nicht etwa, dass es nicht in Südafrika entstanden sein kann.
Theis überrascht indes nicht, dass das Virus zuerst dort erkannt wurde. «Südafrika hat gut ausgebildete Virologinnen und Virologen, nicht zuletzt wegen dem HI-Virus, das Aids auslöst.»
Insgesamt erinnert Theis die derzeitige Situation stark an den Anfang der Pandemie im März 2020: «Damals schauten wir gebannt nach Norditalien. Dabei waren die Fälle schon längst über halb Europa verbreitet.»
Verlangsamen Ja, stoppen Nein
Erinnerungen an damals weckt auch die Einstellung von Flügen, dieses Mal von und nach Südafrika. Laut Theis können solche Reisebeschränkungen allenfalls einen kleinen Zeitgewinn bringen.
In Kontinentaleuropa mit seinen offenen Schengen-Grenzen lässt sich die Verbreitung des Virus aber erfahrungsgemäss nicht verhindern. «Man müsste ein Land also komplett abriegeln – und auch dann wäre es zu spät. Denn die ersten Funken sind schon da.»
Mit den Ursprungsvarianten seien solche Funken zwar immer wieder erlischt. Es brauchte Superspreader-Events wie in Ischgl, um dann schliesslich durch halb Europa getragen zu werden.
In der aktuellen Phase der Pandemie könnten die Funken – also einzelne Fälle, die sich gut verbreiten – aber bereits genügen. «Falls Omikron ähnlich ansteckend ist wie Delta, lässt es sich nicht aufhalten», schliesst Theis. «Ausser man fährt das ganze Land herunter.»