Trotz neuem Bundeskanzler Alexander Schallenberg: Sebastian Kurz bleibt der starke Mann in Österreich. Es stelle sich nun die Frage, wie lange sich die Grünen, die mit der ÖVP eine Koalitionsregierung bilden, Querschüsse gefallen lassen werden, sagt Natascha Strobl. Die Politologin steht der SPÖ nahe.
SRF News: Schallenberg hat dem zurückgetretenen Kurz – dieser wechselt ins Parlament und wird dort Fraktionschef der ÖVP – demonstrativ den Rücken gestärkt. Wieso hat er das getan?
Natascha Strobl: Schallenberg macht klar, dass seine Amtsübernahme kein Bruch mit dem System von Sebastian Kurz ist. Das zeigt: Die konservative ÖVP steht weiterhin zu Kurz. Dieses Signal wird auch ausgesendet. Die Grünen – sie sind der Koalitionspartner der ÖVP – haben klar gefordert, dass Kurz als Kanzler wegmüsse, jetzt aber bleibt sein Einfluss weiterhin gross.
Wieso lassen sich die Grünen darauf ein?
Die Grünen sind zum ersten Mal in einer österreichischen Bundesregierung und möchten noch einige ihrer Projekte umsetzen – sie agieren vor allem auf der Sachebene. Ganz anders die ÖVP: Sie will um jeden Preis an der Macht bleiben.
Was hätten die Grünen anders machen können?
Sie hätten nicht nur den Abgang von Kurz fordern können, sondern auch ein Ende seines Systems. Das hätte allerdings den Abgang fast aller ÖVP-Minister in der Bundesregierung bedeutet. Denn viele von ihnen gehören zum engsten Umfeld des Ex-Kanzlers.
Man könnte die ÖVP von der Macht entfernen.
Eine andere Variante wäre, dass sich die Grünen auf eine Notfall-Konzentrationsregierung einlassen würden, bei der alle anderen Parteien eingebunden wären. So könnte man die ÖVP von der Macht entfernen.
Wie zerbrechlich wäre eine solche Regierung gewesen?
Sehr zerbrechlich – da hätte es sich bloss um ein Notfallkonstrukt handeln können, um kurzfristig für Ordnung zu sorgen, da Gefahr in Verzug ist. In einigen Monaten hätten dann Neuwahlen durchgeführt werden müssen.
Welche Chancen hätten im Fall von baldigen Neuwahlen die Grünen, danach weiterhin in der Regierung zu sitzen?
Entweder sie würden danach weiterhin mit der ÖVP regieren – dann würde sich ja nichts ändern, oder Rot-Grün-Neos kämen auf eine Mehrheit. Derzeit erreichen die drei Parteien in den Umfragen aber nur knapp 50 Prozent der Stimmen. Wenn sie eine solche Regierung anstreben wollten, müssten sie mit diesem Angebot in die Wahlen gehen und schauen, ob es reicht.
Ein progressives, linksliberales Angebot an die Wählerinnen und Wähler wäre eine gute Idee für etwas Neues.
Die Grünen sollten nicht so viel Angst vor Neuwahlen haben, sondern klar darlegen, was man für die Zukunft möchte. Denn derzeit ist nicht klar, ob die Grünen im Grunde nicht zufrieden sind in der Koalition mit der ÖVP. Ein progressives, linksliberales Angebot an die Wählerinnen und Wähler wäre durchaus eine gute Idee für etwas Neues – anstelle der sehr unbeliebten grossen Koalition aus ÖVP und SPÖ.
Auch wenn Neuwahlen derzeit kein Thema sind: Wie lange wird die ÖVP-Grünen-Koalition jetzt noch halten?
Die Grünen werden an der Umsetzung ihrer Projekte weiterarbeiten. Doch sobald sich Kurz aufgerappelt hat, werden Querschüsse kommen. Die Frage ist dann, ob sich die Grünen das bieten lassen – oder nicht.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl.