In Neuseeland lässt der Lebensmittel- und Drogeriewarenkonzern Unilever seine Angestellten nur noch vier Tage pro Woche arbeiten – und das bei gleichem Lohn. Neue Arbeitszeitmodelle würden von der neuseeländischen Regierung ausdrücklich gewünscht, sagt SRF-Ozeanienkorrespondent Urs Wälterlin. Neuseeland sei bei dem Thema so etwas wie ein Versuchslabor für die Welt.
SRF News: Wie soll die 4-Tage-Woche bei Unilever Neuseeland funktionieren?
Urs Wälterlin: Die 81 Unilever-Angestellten in Neuseeland arbeiten jetzt mal ein Jahr lang nur noch vier statt fünf Tage, der Lohn bleibt dabei gleich. Danach wird das Experiment evaluiert und allenfalls auf andere Länder ausgedehnt. Unilever beschäftigt weltweit rund 168'000 Personen. In Neuseeland befinden sich keine Unilever-Produktionsbetriebe, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind im Verkauf, Distribution und Marketing beschäftigt. Das vereinfacht den Versuch.
Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern unterstützt die 4-Tage-Woche und andere flexible Arbeitsmodelle. Was verspricht sie sich davon?
Ardern hofft darauf, dass dadurch die neuseeländische Tourismusindustrie profitiert. Die wichtigste Exportindustrie Neuseelands beschäftigt Hunderttausende Menschen, doch nach Schliessung der Grenzen wegen der Corona-Pandemie ist der ausländische Tourismus zusammengebrochen. Die wirtschaftlichen Folgen sind dramatisch.
Ardern hofft auf mehr inländische Touristen.
Ardern hofft nun, dass die Neuseeländerinnen und Neuseeländer am fünften, freien Tag touristische Angebote buchen und in Pensionen und Hotels übernachten. Doch die Premierministerin ist auch grundsätzlich davon überzeugt, dass nach Corona neue, flexiblere Arbeitsmodelle gefragt sind.
Folgt die neuseeländische Wirtschaft Arderns Aufruf?
Bislang sind es meist erst Experimente wie bei Unilever, die lanciert werden. Immerhin: Der Finanzdienstleister Perpetual Guardian hat schon 2018 für seine 250 Angestellten auf die 4-Tage-Woche umgestellt – und macht nach eigenen Angaben nur positive Erfahrungen.
Laut dem Chef gibt es für die Firma keine Nachteile.
Das Unternehmen verzeichnet eine höhere Produktivität, laut dem Chef gibt es für die Firma keine Nachteile. Auch zeigen die wissenschaftlichen Auswertungen, dass die Angestellten weniger unter Stress leiden, zufriedener sind im Job und die bessere Balance zwischen Arbeit und Freizeit schätzen.
Werden die neuen Arbeitszeitmodelle die neuseeländische Arbeitswelt tatsächlich verändern – oder sind sie eher eine kurzfristige Reaktion auf die Coronakrise?
Ich gehe davon aus, dass die neuseeländischen Experimente durchaus Schule machen werden – und das nicht nur in Neuseeland. Die «Kiwis» sind so etwas wie die Pioniere für den Rest der Welt.
Vielleicht einer der wenigen positiven Aspekte der Coronakrise.
Weltweit wollen Arbeitgeber dasselbe: eine Verbesserung der Produktivität in ihrer Firma. Wenn Angestellte dank solcher Massnahmen also zufriedener, motivierter und leistungsbereiter sind, kann das nicht nur für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gut sein, sondern für die Gesamtwirtschaft. Vielleicht ist es einer der wenigen positiven Aspekte der Coronakrise, dass wir gezwungen werden, umzudenken und neue Wege zu gehen, auf die sich die meisten von uns noch vor einem Jahr nicht gewagt hätten.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.