In den Niederlanden kommt es zum Bruch in der Regierung. Ministerpräsident Mark Rutte hat den Rücktritt eingereicht. Der Grund sind unüberbrückbare Differenzen innerhalb der vier Koalitionsparteien. Streitpunkt war insbesondere die Migrationspolitik. Thomas Verfuss, freier Journalist in den Niederlanden, ordnet den Rücktritt ein.
SRF News: Warum ist gerade die Asylpolitik zum Stolperstein für die niederländische Regierung geworden?
Thomas Verfuss: Premierminister Mark Rutte ist der Führer der rechtsliberalen VVD, der grössten der vier Koalitionsparteien. Das ist eine Partei, die Wirtschaftsinteressen und Interessen des höheren Mittelstands vertritt. Aber das reicht nicht, um die grösste Partei zu werden. Man braucht auch die Stimmen einfacherer, ärmerer, konservativer Wähler. Und die finden, dass es zu viele Ausländer gibt in den Niederlanden. Und deswegen hat er seiner Partei und seiner Fraktion versprechen müssen, dass er etwas gegen das sogenannte Migrationsproblem unternimmt. Er hat versprochen, dass das vor den Sommerferien geschieht. Die Sommerferien haben bereits angefangen. Somit stand er einigermassen unter Druck von seiner eigenen Partei.
War der oft erwähnte Familiennachzug von Kriegsflüchtlingen nicht eher eine politische Detailfrage?
Die kleinste Regierungspartei, die calvinistische Christenunion, findet den Familiennachzug von Kriegsflüchtlingen eine wichtige Prinzipienfrage. Die Christenunion hat gestern immer wieder den Nachdruck darauf gelegt, dass es um Prinzipien geht.
Die Koalition ist jetzt zerbrochen wegen einer Prinzipienfrage.
Wenn jemand als politischer Flüchtling anerkannt oder wenn jemand Kriegsflüchtling ist, dann hat er das Recht darauf, dass seine Familie, seine kleinen Kinder auch in die Niederlande kommen können und nicht ein halbes Jahr in gefährlichen Situationen, im Krieg in Syrien oder in Afghanistan warten müssen. Also die Koalition ist jetzt zerbrochen wegen einer Prinzipienfrage, bei der die calvinistischen Christen auf dieses Prinzip des Familiennachzugs insistiert haben.
Inwiefern ist das Scheitern der Regierung ein Scheitern von Premier Mark Rutte?
Es gibt Leute, die sagen, dass es eigentlich ganz gut ist, dass jetzt die Regierung gefallen ist – gut für Mark Rutte. Denn damit hat er gute Chancen, zum fünften Mal Premierminister zu werden.
Niemand ist vorher so lange wie Mark Rutte Premierminister gewesen.
Niemand ist vorher so lange wie er Premierminister gewesen, 13 Jahre. Seine rechtsliberale VVD ist sehr gut organisiert. Andere Parteien sind neu im Entstehen und nicht gut vorbereitet auf Neuwahlen.
Die Niederlande erleben also jetzt einen vollen Wahlkampfsommer?
Es wird wohl im September voll losgehen. Das Parlament ist zurückgerufen worden aus den Ferien. Es wird am Montag über die Krise debattieren. Der Premierminister war heute beim König. Es wird wahrscheinlich aber November werden, bis es Neuwahlen gibt. Dann wird man sehen, wie sich die Parteienlandschaft mit 20 Fraktionen darstellen wird.
Das Gespräch führte Michèle Scherer.