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Österreichs neue Regierung Die «Zuckerl-Koalition» ist eine Vernunftehe, keine Liebesheirat

Es seien die «vielleicht schwierigsten Regierungsverhandlungen in der Geschichte des Landes» gewesen, sagte Volkspartei-Chef Christian Stocker, der wahrscheinlich neuer Kanzler Österreichs wird. Fünf Monate hatte es gedauert, bis sich die drei so unterschiedlichen Parteien auf ein gemeinsames Regierungsprogramm einigen konnten.

Dazu brauchte es zahlreiche Kompromisse zwischen der konservativen Volkspartei (ÖVP), den Sozialdemokraten (SPÖ) und den grünliberalen Neos.

Härterer Kurs im Asylbereich

Das Regierungsprogramm enthält einige überraschende Punkte – vor allem im Bereich Asyl, Migration und Integration. So wird es für Geflüchtete verpflichtende Integrationskurse über die Dauer von drei Jahren geben. Während dieser Zeit gibt es nur reduzierte staatliche Hilfe. Für minderjährige Mädchen soll es ein Kopftuchverbot geben und der Familiennachzug für Geflüchtete soll vorübergehend und mit sofortiger Wirkung ausgesetzt werden.

Zudem behält sich die Koalition vor, im Rahmen der EU-Notfallklausel einen Asylstopp zu verhängen. Neben Massnahmen zur finanziellen Entlastung von Bürgerinnen und Bürgern, wird eine Stelle zum Bürokratieabbau geschaffen. Die Senkung der Lohnnebenkosten muss jedoch warten, bis das Budget saniert ist.

Die «Wahlverlierer» regieren

Dass sich die drei Parteien im zweiten Anlauf – den ersten brachen die Parteien Anfang Januar ab – einigen konnten, liegt daran, dass die Wahlsiegerin, die Rechtspartei FPÖ unter Parteichef Herbert Kickl, keinen Partner fand, der mit ihr regieren will. Also rauften sich die drei «Wahlverlierer», wie sie Kickl immer wieder spöttisch nennt, zusammen.

Damit bekommt Österreich wieder eine EU-freundliche Regierung. Wäre Kickl Kanzler geworden, hätte das anders ausgesehen. Für ihn ist die EU ein Feindbild. Ihre Führung in Brüssel bezeichnet er immer wieder als «Kriegstreiber». Kickl gibt sich offen prorussisch, genau wie die Regierung in Österreichs Nachbarländern Slowakei und Ungarn. Mit diesen zusammen plante Kickl Druck auf die EU zu machen. Daraus wird nichts – zumindest vorläufig.

Vorbehalte gegen Kanzler Stocker

Vorbehalte gibt es auch gegen den neuen Bundeskanzler Christian Stocker. Dieser war zwischen September 2022 und Januar 2025 Generalsekretär seiner Partei. In dieser Zeit ermittelte die Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft gegen 17 ÖVP-Mitglieder, neun davon Ex-Minister. Stocker hatte diese stets in Schutz genommen, was Zweifel an seiner Redlichkeit schürte.

Und: Stocker hatte während des ganzen Wahlkampfes an der Seite von Ex-Kanzler Karl Nehammer betont, dass seine Volkspartei nie und nimmer mit Herbert Kickl regieren werde. Am 8. Januar begann er dann trotz allem mit Kickls FPÖ zu verhandeln – und scheiterte. Klar, dass eine solche radikale Kehrtwende der Glaubwürdigkeit eines Politikers nicht förderlich ist – vor allem, wenn er Kanzler werden will.

Wie lange hält die «Zuckerl-Koalition»?

Viele österreichische Politikfachleute glauben denn auch nicht, dass die neue «Zuckerl-Koalition» über die ganze Legislaturperiode von fünf Jahren durchhält. Zu unterschiedlich seien die Positionen der drei Parteien, zu knapp derzeit die Finanzen der Republik Österreich.

Sicher, diese Regierung ist keine Liebesheirat, sondern eine Vernunftehe. Doch schon bei der letzten Regierungskoalition zwischen konservativer Volkspartei und Grünen waren viele Fachleute skeptisch. Es kam anders. Die beiden ungleichen Partner regierten – wenn auch sehr konfliktreich – fünf Jahre durch.

Peter Balzli

Österreich- und Osteuropa-Korrespondent

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Peter Balzli hat Wirtschaft und Medienwissenschaften in Bern und Berlin studiert. Danach absolvierte er die Ringier-Journalistenschule und begann 1995 beim SRF zu arbeiten. Bevor er zwischen 2001 und 2013 als SRF-Korrespondent aus Paris und London berichtete, arbeitete Balzli 2000 bis 2001 als Delegierter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Seit 2016 ist Peter Balzli Österreich- und Osteuropa-Korrespondent.

Tagesschau, 27.2.2025, 12:45 Uhr

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