Eine Mehrheit der knapp 20 Millionen Chileninnen und Chilenen ist unzufrieden mit ihrem Präsidenten. Das grosse Versprechen von Gabriel Boric, eine neue Verfassung, scheiterte zweimal. Der erste Vorschlag war vielen zu links, der zweite zu rechts. Chiles Politik und Gesellschaft sind gespalten, polarisiert.
Hinzu kommt eine Sicherheitskrise: Die steigende Kriminalitätsrate trübt das Sicherheitsgefühl der Chileninnen und Chilenen. Venezolanische Drogen-Kartelle haben sich in Chile eingenistet – in einem der bisher sichersten Länder Südamerikas.
Letztes Jahr erreichten Gewaltverbrechen mit 194'000 Fällen den höchsten Stand der letzten neun Jahre. Überfälle und Morde, aber auch Angriffe auf die Polizei nehmen zu: Acht Polizisten starben in den letzten Monaten in Chile durch bei Polizeieinsätzen.
Für den links-progressiven Präsidenten Boric insgesamt keine leichte Aufgabe, wie er gegenüber Radio SRF sagt: «Die Kriminalität floriert dort, wo der Staat sich zurückzieht. Wir müssen den öffentlichen Raum zurückerobern.»
Mehr Schutz für die Grenze
Zugleich wurde laut Boric erst letzte Woche das Militärpersonal an der Grenze um 40 Prozent aufgestockt. Chile hat eine der längsten Landesgrenzen der Welt. Allein die Küstenlinie misst fast 6500 Kilometer, mit über 50 Häfen.
Das südamerikanische Land handelt mit den USA, Europa und China. Das weckt Begehrlichkeiten und zieht auch Drogenschmuggler an. «Wir stocken überall unser Personal auf – nicht nur beim Militär, bei der Küstenwache und der Hochseepolizei. Und wir modernisieren auch unsere Computer-Systeme zur Analyse von Geldflüssen und den Zoll», so der chilenische Präsident.
Unterlegener Rechtsaussenkandidat macht Stimmung
Doch einem Teil der Gesellschaft geht das nicht weit genug: Verschiedene Bürgermeister der Hauptstadtregion fordern Militärpräsenz in den Strassen der Hauptstadt Santiago. Rechtsaussen machen die Republicanos Stimmung mit José Antonio Kast.
Der Anwalt, der 2021 gegen Boric ins Rennen um die Präsidentschaft zog und verlor, erfreut sich derzeit wachsender Beliebtheit. Eben erst reiste er nach El Salvador und besuchte dort eines der Mega-Gefängnisse von Präsident und Sicherheitshardliner Nayib Bukele.
Auch in Chile brauche es härtere Gesetze, fordert Kast in einem Video in den Sozialen Medien: «Die Regierung muss aufhören mit Entschuldigungen und auf die Bürgermeister hören, die die Realität kennen», erklärte er. Das Beispiel El Salvador zeige, dass die Politik der harten Hand funktioniere. Dass es bei den Massenverhaftungen immer wieder auch zu Menschenrechtsverletzungen kommt oder Unschuldige betroffen sind, nehmen Politiker wie Kast in Kauf.
Erfahrungswerte zeigen, dass es gefährlich ist, wenn das Militär Polizeiarbeit übernimmt, für die es nicht geschult ist.
Präsident Boric dagegen ist überzeugt, dass mehr Militär Chiles Kriminalitätsproblem nicht lösen kann. Das Militär könne zwar mithelfen, mehr Sicherheit zu schaffen. «Erfahrungswerte zeigen aber, dass es gefährlich ist, wenn das Militär Polizeiarbeit übernimmt, für die es nicht geschult ist.»
Stattdessen will Boric den sozialen Zusammenhalt fördern und mehr Perspektiven für Junge schaffen, damit diese nicht in die Kriminalität abrutschen. Boric bleibt ein Jahr, um die Sicherheitskrise in den Griff zu bekommen, denn nächstes Jahr sind wieder Präsidentschaftswahlen. Kast hat schon klar gemacht, dass er erneut kandidieren wird.