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Prozess Marine Le Pen «Für die Partei ist es das schlimmste Szenario»

Marine Le Pen wird nicht um die Nachfolge von Emmanuel Macron kandidieren können. Sie wurde der Veruntreuung von öffentlichen Geldern schuldig gesprochen. Was sind die Folgen für die Partei und für Frankreich? Die Politologin Hélène Miard-Delacroix von der Universität Sorbonne war zu Gast im «Tagesgespräch».

Hélène Miard-Delacroix

Professorin für Zeitgeschichte

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Hélène Miard-Delacroix ist Professorin für Zeitgeschichte an der Pariser Sorbonne und forscht über die Bewegung der «Gilets Jaunes».

SRF News: Marine Le Pen wurde wegen Veruntreuung von öffentlichen Geldern in erster Instanz verurteilt. Zwei Jahre Haft, zwei Jahre Bewährung, 100'000 Euro Busse und fünf Jahre Ausschluss von Wahlen. Wie beurteilen Sie das Urteil? 

Hélène Miard-Delacroix: Es ist ein Paukenschlag! Diese Nichtwählbarkeit konzentriert die ganze Diskussion um die Behandlung der Politikerinnen und Politiker durch die Justiz.

Für die Partei ist es das schlimmste Szenario, das man sich vorstellen konnte.

Der Entzug des passiven Wahlrechts ist im Gesetz zwar vorgesehen, es wurde aber im Vorfeld darüber diskutiert, ob es anmassend sei von den Richtern, einer solch führenden Politikerin in Frankreich dieses Wahlrecht zu entziehen.

Dieses Verbot, für ein Amt zu kandidieren, tritt per sofort in Kraft, auch wenn Le Pen das Urteil noch weiterziehen kann. Warum tritt es nicht erst in Kraft, wenn sie letztinstanzlich verurteilt ist?

Weil verhindert werden will, dass die Täterin oder der Täter in der Zeit, in der ein Urteil weitergezogen wird, erneut straffällig werden kann. 

Dass das Pariser Gericht so entschieden hat, entspricht dem Geist des Gesetzes.

Das Gesetz sieht diese Unmittelbarkeit vor, auch weil in der Bevölkerung ein Verlangen nach Strenge zu hören ist. Es ist somit nicht erstaunlich, dass das Pariser Gericht so entschieden hat, es entspricht dem Geist des Gesetzes.

Was bedeutet dieses Urteil für ihre Partei, das Rassemblement National?

Für die Partei ist es das schlimmste Szenario, das man sich vorstellen kann. Umso mehr, als dass man den Eindruck hatte, dass sie sich nicht wirklich darauf vorbereitet hat. Für die Partei ist es ein Tsunami. Sie wird sich nun sicher als Opfer der Justiz darstellen und die Unparteilichkeit der Justiz in Zweifel ziehen. Und sie braucht einen Plan B.

Wäre Jordan Bardella ein Plan B, der 29-jährige Parteichef? Könnte er in die Fussstapfen von Marine Le Pen treten und für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren?

Ja, das würde er sicher gern. Er hat aber viele Feinde in der Partei und einen geringen Leistungsausweis. Viele trauen ihm das Amt des Präsidenten noch nicht zu.

Aus dem rechten Parteispektrum wird künftig argumentiert werden, dass die Politik stärker als das Recht sei. Der Rechtsstaat könnte also unter Druck geraten.

Eine Alternative wäre die Nichte von Marine Le Pen, Marion Maréchal. Sie hätte wahrscheinlich mehr als Bardella das Zeug dazu, Präsidentin zu werden. Sie ist aber eine sehr harte Politikerin, härter als Marine Le Pen. Unter ihr könnte die Partei radikaler werden, nachdem sie unter Le Pen in den letzten Jahren salonfähig geworden ist. 

Was bedeutet das heutige Urteil für Frankreich?

Es wird eine grosse Debatte auslösen. Die einen werden sagen, das Recht gelte für alle, auch für führende Politikerinnen. Die Richter schützten die Wählerschaft, indem sie die Gesetze umsetzen. Andere, vor allem aus dem rechten Parteispektrum, werden argumentieren, die Politik sei stärker als das Recht, man müsse die Volkssouveränität höher gewichten als den Rechtsstaat. Demnach könnte der Rechtsstaat also unter Druck geraten.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Diskutieren Sie mit:

Tagesschau, 31.3.2025, 12:45 Uhr ; 

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