Nach Angaben der russischen Wahlkommission erhielt Russlands Präsident Putin über 87 Prozent der Stimmen, bei einer Wahlbeteiligung von rund 74 Prozent. Beides sind Rekordwerte. Doch die Wahlen waren weder frei noch fair. Die Politologin und Russlandexpertin Sabine Fischer ordnet die Ereignisse nach den Wahlen ein und was sie für Russland bedeuten.
SRF News: In einer Medienkonferenz nach seinem Wahlsieg warnt Putin, dass eine Konfrontation mit Nato-Staaten nicht auszuschliessen sei. Der Dritte Weltkrieg wäre dann nur noch einen Schritt entfernt, daran könne niemand interessiert sein, so der russische Präsident. Wie beurteilen Sie diese Äusserung?
Sabine Fischer: Das russische Regime sieht sich seit mehr als einem Jahrzehnt im Krieg mit dem Westen. Das verfolgte Narrativ lautet: Der Westen greift an, will Russland vernichten und deshalb muss sich Russland verteidigen.
Daraus leiten sich diese Drohungen ab. Putin verkauft seinen Wahlsieg jetzt als Zustimmung des Volkes zum Krieg in der Ukraine, der in Wirklichkeit ein Krieg gegen die Aggression des Westens sei.
Er sendet diese Kriegsrhetorik an die eigene Bevölkerung. Das hat er bereits Ende Februar in seiner Rede vor der Föderalversammlung getan. Seine Botschaft damals war, dass die gesamte Zukunft Russlands von diesem Krieg abhängt und dass sich alle diesem Krieg unterordnen müssen, damit er gewonnen werden kann. Die Botschaft richtet sich nicht nur an das russische Volk, sie soll auch die Kriegsangst in den westlichen Staaten schüren und Politiker einschüchtern.
Um den Krieg zu gewinnen, braucht man Soldaten. Glauben Sie, dass Putin erneut mobilisieren wird?
Ich kann mich irren, denn es ist ein undurchsichtiges System und es ist schwierig, konkrete Vorhersagen zu machen. Ich halte eine erneute Mobilmachung im Moment für unwahrscheinlich, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen ist es für die russische Seite aus militärischer Sicht nicht notwendig zu mobilisieren, da sie nicht unter Druck steht. Dies war bei der ersten Teilmobilmachung im Sommer 2022 noch anders. Russland setzt darauf, dass die Ukraine schwächer wird, weil die Unterstützung aus dem Westen nachlässt.
Solange das Regime in der Lage ist, den Krieg mit wachsenden Erfolgsaussichten zu führen, bleibt es stabil.
Der zweite Grund sind die Proteste, die es in Russland gab. Das Regime nahm diese zur Kenntnis und will nun verhindern, dass durch eine neue Mobilmachung weitere, grössere Proteste ausgelöst werden.
Glauben Sie an einen politischen Wandel innerhalb der russischen Gesellschaft?
Politische Veränderungen sind prinzipiell immer möglich. Der Kreml führt aber diesen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine, was in katastrophaler Weise auch auf Russland zurückwirkt, so ist auch die unfreie Wahl ein Teil dieser Rückwirkung.
Deshalb bin ich im Moment pessimistisch, was die Zukunft Russlands angeht. Solange das Regime in der Lage ist, den Krieg mit wachsenden Erfolgsaussichten zu führen, bleibt es stabil. Wir haben in den letzten zwei Jahren gesehen, dass der Kriegsverlauf direkten Einfluss auf die innenpolitische Entwicklung hat. Ich gehe auch nicht davon aus, dass eine mögliche Schwächung des Regimes zu einer direkten Demokratisierung Russlands führen würde. Aber auszuschliessen ist es natürlich nicht.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.