Erst gewann bei den Präsidentenwahlen in Paraguay Ende April der rechtsnationale Salvador Peña. Nur eine Woche später der Überraschungserfolg für die ultrarechten Republicanos bei den Verfassungsratswahlen in Chile.
Sind das Zeichen dafür, dass Südamerikas «rosarote Welle» vorbei ist? «Jein», sagt der venezolanische Politologe Miguel Ángel Martínez Meucci – schliesslich würden die meisten Länder der Region ja noch von Linkskoalitionen regiert.
Aber: «Was in Lateinamerika in den letzten Jahren am meisten heraussticht, ist die Alternabilität.» Damit meint Martínez Meucci: Das Pendel schwingt nicht unbedingt von links nach rechts, sondern vor allem von der Regierung zur Opposition – unabhängig von der Partei-Couleur.
Die Wählenden wollen Veränderung
Wandel sei das Ziel der Wählerinnen und Wähler. Das zeige auch die Präsidentenwahl in Paraguay: Dort blieb zwar die rechtsnationale Regierungspartei an der Macht. Doch der bisherige Präsident Mario Abdo Benítez unterlag einem parteiinternen Herausforderer.
Wahlen werden dafür genutzt, die Regierung abzustrafen und jemand anderem eine Chance zu geben.
«Protestwahlen sind in Südamerika häufig: Die Wählenden nutzen Wahlen, um die Regierung abzustrafen und jemand anderem eine Chance zu geben», erklärt der Politologe.
Auf einem Kontinent, der das ganze 20. Jahrhundert lang geplagt wurde von Diktaturen, Militäraufständen und Revolutionären, sei das nicht negativ. «Dass unsere Demokratien Machtwechsel zulassen, ist wichtig», so Martínez Meucci. Besorgniserregend seien autoritäre Länder wie Venezuela, wo solche Machtwechsel nicht stattfänden.
Wo bleibt der minimale Konsens?
Zu viele Wechsel können aber auch für Demokratien zum Problem werden – wenn es keinen Mindestkonsens mehr gibt in einem Land. Dann seien Regierungen nur begrenzt reformfähig.
Hinzu kommt, dass vielerorts das Geld fehlt: Die Coronapandemie, der Ukraine-Krieg und die Preisschwankungen auf den Rohstoffmärkten haben in der Region Spuren hinterlassen. Denn Südamerikas Wirtschaft ist noch immer stark abhängig vom Handel mit Rohstoffen.
Autoritäre Politiker in unsicheren Zeiten
Tomás Múgica von der Universidad Católica de Buenos Aires sieht in der Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler denn auch ein Indiz für eine tieferliegende Entwicklung in der lateinamerikanischen Politik. «Die Kritik an der Demokratie wächst. Das grosse uneingelöste Versprechen der lateinamerikanischen Demokratien ist die Ungleichheit.»
Politiker mit autoritären Zügen hinterfragen die Spielregeln liberaler Demokratien – und destabilisieren diese damit.
In Argentinien etwa hat die Hyperinflation die Armut sprunghaft ansteigen lassen: Rund 40 Prozent der Argentinierinnen und Argentinier arbeiten zu Dumpinglöhnen in der Schattenwirtschaft und leben unterhalb der Armutsgrenze. Das sind 18 Millionen Menschen.
«Und plötzlich tauchen wieder Politiker mit autoritären Zügen auf. Sie hinterfragen die Spielregeln liberaler Demokratien», sagt Múgica. «Sie destabilisieren damit die Demokratie von innen.»
Das Pendel schwingt in Südamerika tendenziell also immer extremer hin und her – und immer schneller. Ob sich dieser Trend fortsetzt, wird sich bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Argentinien vom Oktober zeigen.