Reporterinnen und Reporter der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» haben acht Monate lang recherchiert. Sie kommen zum Schluss: Rechtsextreme vernetzen sich immer stärker international. Etwas Neues sei entstanden, eine sogenannte «braune Internationale». Yassin Musharbash ist Teil dieser Gruppe von investigativen Journalisten. Er sagt, vor fünf Jahren hätten deutsche Neonazis mit polnischen oder ukrainischen Neonazis nichts zu tun haben wollen. «Doch heute betrachten sie sich als Waffenbrüder.»
SRF News: Was war der Auslöser für die Recherche der «Zeit»?
Yassin Musharbash: Das war ein Meinungsbeitrag in der «New York Times» von einem US-Kongressabgeordneten, der früher Ermittler war, und einem früheren FBI-Mann, der seit vielen Jahren Terrorexperte ist. Die beiden haben geschrieben: «Es gibt da etwas, das ihr nicht mitbekommt.» Der Krieg in der Ukraine, der seit 2014 läuft, habe sich zu etwas entwickelt, das man vergleichen könne mit dem, was Afghanistan in den 80ern und 90ern für die islamistische Szene war – ein Vernetzungsort für eine Internationale von Rechtsextremisten. Dann haben wir angefangen, das zu überprüfen.
Wie sind Sie vorgegangen, um diese Vernetzung aufzuzeigen?
Wir haben geschaut, wo finden wir Spuren dafür, dass das stimmt? Stimmt es, dass wirklich so viele Rechtsextremisten in den letzten Jahren in der Ukraine gekämpft haben? Die Antwort ist: Ja. Es waren Tausende. Und zwar auf beiden Seiten, sowohl auf russischer als auch auf ukrainischer Seite.
Jede Gruppe hat so ihre eigenen Sorgen, aber alle bieten genug Gemeinsamkeiten, um sich auszutauschen und voneinander zu profitieren.
Dann haben wir uns angeschaut, welche Organisationen besonders wichtig waren. Mit wem vernetzen die sich? Wo rekrutieren sie ihre Mitglieder? Wo machen sie Werbung für sich? Wir sind relativ schnell auf eine ganze Reihe von Gruppen gekommen, die ihre Bestrebungen, sich zu vernetzen und Know-how zu tauschen, ungefähr seit vier, fünf Jahren massiv ausgebaut haben.
Das Internet zur Vernetzung gibt es schon länger. Was ist daran neu?
In den letzten fünf Jahren sind drei ganz entscheidende Punkte zusammengekommen, die begründen können, warum wir dieses Phänomen jetzt so sehen. Der eine ist der Ausbruch des Krieges in der Ukraine 2014.
Zeitgleich haben die Verschlüsselungstechnologien im Internet einen Stand erreicht, bei dem es für jeden ohne Vorbildung möglich ist, klandestine Netzwerke zu bilden. Der dritte Punkt war die Flüchtlingsbewegung von 2014, 2015, die die rechtsextreme Szene mobilisiert hat, weil sie das Gefühl hatte, dass eine Islamisierung Europas droht. Das lässt sich vortrefflich einsortieren in die anderswo schon gepflegten Narrative vom Verteidigungskampf der weissen Rasse, der jetzt nötig sei. Das Ergebnis sehen wir jetzt deutlich.
Was verbindet diese Rechtsextremen, wenn nicht der Nationalismus?
Das Gefühl, dass sie alle im selben Kampf stehen. Nur die Gegner sind unterschiedlich. Die sogenannte Verwestlichung und alles, was sie darunter fassen, etwa die Schwulenbewegung, sind Dinge, welche die russischen Rechtsextremen wahnsinnig aufregen. In Westeuropa ist es vor allem der Kampf gegen Migranten, der ein Hauptmotiv ist. In den USA ist es die Stimmung, dass ein Bürgerkrieg bevorsteht, dass das Land tief gespalten ist und gleichzeitig der Bevölkerungsanteil von Hispanics und Schwarzen immer grösser wird. Jede Gruppe hat so ihre eigenen Sorgen, aber alle bieten genug Gemeinsamkeiten, um sich auszutauschen und voneinander zu profitieren.
Das Gespräch führte Marlen Oehler.