Die französische Opposition kritisiert Präsident Emmanuel Macron, weil dessen Rede zur Lage der Nation am Dienstagabend vor allem ein teurer Werbespot in eigener Sache gewesen sei. Für SRF-Korrespondentin Alexandra Gubser ist dieser Vorwurf nicht völlig aus der Luft gegriffen.
SRF News: Emmanuel Macron verordnet Millionen von Menschen eine verbindliche Booster-Impfung gegen Corona. Wie sieht sein Plan genau aus?
Alexandra Gubser: Er setzt wieder auf den verkappten Impfzwang. Wer über 65 Jahre alt ist, stark übergewichtig, Vorerkrankungen hat oder zum Spitalpersonal gehört, muss sich jetzt zum dritten Mal impfen lassen. Sonst verliert der Gesundheitspass ab Mitte Dezember seine Gültigkeit.
Bald sind alle Ü50 zur dritten Impfung eingeladen.
Betroffen davon sind insgesamt 7.7 Millionen Französinnen und Franzosen, bislang hat erst die Hälfte von ihnen den dritten Piks erhalten. Ab Dezember sind zudem alle ab 50 Jahren zur Auffrischungsspritze «eingeladen».
Wie kommt die Verschärfung beim Volk an?
Innert einer Stunde wurden auf der Impf-Registrierplattform mehr als 100'000 Termine für den Booster gebucht. Aber natürlich gibt es auch Reaktionen von Kritikern. Sie verbitten sich den Eingriff in ihre persönliche Freiheit und monieren, darunter zu leiden, sich impfen lassen zu müssen, um normal weiterleben zu können.
Macron kündigte in seiner Rede auch an, neue AKW bauen zu wollen. Wie begründet er das?
Einerseits will er die energetische Unabhängigkeit Frankreichs auf Jahrzehnte hinaus sicherstellen, andererseits das Versprechen der CO2-Neutralität einhalten. Macron schweben neue, kleine AKW vor, sogenannte SMR. Sie seien sicherer und würden weniger atomar strahlenden Abfall verursachen. Wie diese kleinen Reaktoren allerdings die Stromproduktion der derzeit am Netz hängenden grossen Reaktoren ersetzen sollen, bleibt fraglich.
Macron will mit neuen AKW auch 200'000 Arbeitsplätze retten.
Macron will damit nicht nur die Atomindustrie retten, sondern auch 200'000 Arbeitsplätze, die daran hängen. Auch andere Aspekte sprach Macron an: Frankreich soll weniger abhängig werden vom Ausland, es soll Schlüsselindustrien zurückholen und innovativer werden.
Wie konkret sind die Pläne für die Revitalisierung der französischen Wirtschaft?
Schon Mitte Oktober hat Macron seinen grossen Plan «France 2030» erwähnt – eine Roadmap, die Investitionen von 30 Milliarden Euro vorsieht. Es geht dabei etwa um Halbleitertechnik. Viel Geld soll in die Forschung für neue Technologien fliessen.
Milliarden sollen in die Forschung fliessen.
Macron erwähnte in seiner Rede auch seine «Quoi-qu'il en-coûte»-Strategie während der Pandemie und dass seine Politik 500'000 Menschen in Frankreich davor bewahrt habe, in die Armut abzurutschen. Ebenfalls verwies er auf das hohe Wirtschaftswachstum von 6 Prozent und die tiefe Arbeitslosenquote von 7 Prozent.
Die Opposition kritisierte Macrons Rede, diese sei vor allem ein Booster für seinen eigenen Wahlkampf. Stimmt das?
Absolut. Macron hat die Gelegenheit, 27 Minuten zu reden, ohne dass einem jemand widerspricht, weidlich genutzt. Seine Herausforderinnen und Herausforderer bei der Wahl am 10. April spucken Gift und Galle: Seine Rede sei pure Propaganda gewesen. In der Tat hat man einen Präsidenten im Wahlkampf gesehen, der sein Terrain abgesteckt und besetzt hat. Fehlt nur noch, dass er seine Kandidatur ankündigt.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.