Eine Begegnung mit der Nation hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angekündigt. Daraus wurde ein Dialog mit Journalistinnen und Journalisten: eine Pressekonferenz im Elysée, wie Präsident Macron sie letztmals vor fünf Jahren abgehalten hatte, nach dem Ende der Krise um die Protestbewegung «Gilet Jaunes». Die Begegnung mit der Nation fand so via Medien statt – vor knapp neun Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern.
Macron hat ein neues Lieblingswort: Wiederaufrüstung. Er fordert sie auf allen Ebenen. Bei Wirtschaft und Industrie fordert er schon lange, Frankreich müsse aufrüsten und die Abhängigkeit vom Ausland reduzieren. Frankreich müsse auch den öffentlichen Dienst aufrüsten und den Gemeinsinn bei den Bürgerinnen und Bürgern fördern. Frankreich müsse wieder aufrüsten, damit es Frankreich bleibe. Nicht nur im Innern, sondern auch nach aussen: Frankreich müsse Europa stärken – im eigenen Interesse. Denn nur in einem starken Europa sei auch Frankreich stark.
Bei der Parlamentswahl droht Macron eine Schlappe
Emmanuel Macron hat sich immer als Europäer definiert. Dies ist nicht neu. Aber Europa spielt in den nächsten Monaten auch in Frankreichs Innenpolitik eine zentrale Rolle. In knapp fünf Monaten wird das neue EU-Parlament gewählt. Dabei geht es nicht nur um die Zusammensetzung der französischen Delegation. Die Wahl gilt vor allem als Gradmesser für die innenpolitische Stärke der politischen Lager.
Da sieht es für die Koalition von Präsident Macron düster aus. Nach bisherigen Umfragen liegt sie deutlich hinter dem Rassemblement Nationale zurück. Die Partei von Marine Le Pen kann derzeit auf einen Stimmenanteil von 30 Prozent hoffen. Erfüllen sich die Prognosen, droht dem Präsidenten und seinem politischen Lager eine empfindliche Schlappe.
Darum sind alle Positionsbezüge des Präsidenten vor dem Hintergrund der Europawahl so zu lesen: Der offizielle Hauptfeind ist zwar das Rassemblement Nationale – aber die direkte Konkurrenz sind die konservativen Républicains, bei denen Macron allenfalls Stimmen gewinnen kann. Der Präsident hat der traditionellen Rechtspartei immer wieder führende Köpfe abgeworben und in die Regierung aufgenommen. Zuletzt waren es die neue Kulturministerin Rachida Dati und Arbeits-, Sozial- und Gesundheitsministerin Catherine Vautrin. Beide gehören zum Umfeld des konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy.
Auf Stimmenfang im rechten Lager
Die Mehrheit der neu ernannten Regierung besteht aus ehemaligen Républicains. Nun übernimmt Macron auch deren traditionelle politischen Positionen. Der Ruf nach mehr Ordnung und mehr Disziplin in den Schulen gehört dazu. Der Kampf gegen Kriminalität oder gegen islamistischen Separatismus ebenso. In anderen Bereichen wie dem Klimaschutz präsentierte Emmanuel Macron keine neuen Projekte. Hier habe die Regierung die Weichen bereits gestellt und werde nun die definierten Ziele umsetzen.
Präsident Macron verspricht dem Volk nicht in allen Bereichen den Aufbruch, sondern vor allem dort, wo ihm die rechte Opposition bisher stets Mängel vorgeworfen hat. Nun will er deren politischen Rezepte übernehmen, bei Sicherheit und öffentlicher Ordnung zum Beispiel. Es ist eine Art Aufrüstung in eigener Sache, die Emmanuel Macron aber nicht so deklariert. Frankreichs Präsident versucht, so Stimmen aus dem rechten Lager zu gewinnen, damit seiner Koalition auch nach der Europawahl eine führende Rolle bleibt.