Zum Inhalt springen
Audio
Frankreichs neue Regierung: zum Scheitern verurteilt?
Aus Echo der Zeit vom 01.10.2024. Bild: REUTERS/Sarah Meyssonnier
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 17 Sekunden.

Regierungserklärung in Paris Michel Barnier sucht die Verständigung – für Frankreich

Die französische Regierung hat keine Parlamentsmehrheit. Wie lange Linke und Le Pen mitspielen werden, bleibt offen.

Nach monatelangem politischem Streit will Frankreichs neuer Premierminister Michel Barnier das Land mit Dialog, Kompromissen und einem harten Sparkurs aus der Krise führen. «Wir befinden uns gemeinsam auf einer Gratwanderung», sagte der Konservative Barnier bei seiner mit Spannung erwarteten Regierungserklärung in der Nationalversammlung in Paris. Man müsse mit wenig viel erreichen.

Eine Regierung ohne Mehrheit

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Marine Le Pen entscheidet wohl schon bald über Sein oder nicht Sein von Barniers Regierung. Reuters/Sarah Meyssonnier

Der konservative Michel Barnier war von Staatspräsident Emmanuel Macron vor knapp einem Monat zum neuen Regierungschef ernannt worden. Zusammen mit Macrons Politlager stellte er eine Mitte-Rechts-Regierung auf die Beine. Allerdings verfügt die Regierung mit bloss 189 der insgesamt 577 Sitze in der Nationalversammlung über keine Parlamentsmehrheit. Sie ist auf die Duldung aus dem linken Lager (178 Sitze) oder der Rechtspopulisten um Marine Le Pen (125 Sitze) angewiesen.

Die Fraktionsvorsitzende der linken La France Insoumise, Mathilde Panot, bezeichnete das Kabinett Barnier als «schlimmste Regierung von Reaktionären». Le Pen ihrerseits machte deutlich, dass ihre Fraktion die Regierung nur unter bestimmten Voraussetzungen dulden werde und zählte rote Linien wie höhere Steuerbelastungen für die Allgemeinbevölkerung auf, bei denen man der Regierung das Vertrauen entziehen könne.

An die Adresse der Abgeordneten rief er zu Kompromissen auf – angesichts der «Dringlichkeit der Situation und für die Zukunft». Die Parlamentskammer sei so gespalten wie seit 1958 nicht mehr, so Barnier. Doch Stillstand würden die Franzosen den Politikerinnen und Politikern nicht verzeihen. Es brauche Respekt und Dialog zwischen Regierung und Parlament.

Sparen und höhere Steuern für Reiche

Schon zu Beginn seiner Rede machte der ehemalige EU-Kommissar klar, dass er seinem Land einen Sparkurs auferlegen will. Im laufenden Jahr werde ein Defizit von sechs Prozent erwartet, im kommenden Jahr solle es auf fünf Prozent gesenkt werden.

2029 solle das Haushaltsdefizit wieder unter den europäischen Grenzwert von drei Prozent gebracht werden. Dies ist zwar zwei Jahre später als zuletzt von Frankreich geplant, jedoch schien der ursprüngliche Sparkurs nicht mehr zu halten. Der angehäufte Schuldenberg Frankreichs beträgt mehr als 3.2 Billionen Euro.

Wegen einer zu hohen Neuverschuldung betreibt die EU-Kommission im Moment bereits ein Defizitverfahren gegen Frankreich. Bis Ende Oktober muss Frankreich Brüssel einen Plan vorlegen, wie es seine Finanzen wieder in den Griff bekommen will. Unter Zeitdruck muss die Regierung zuvor noch einen Haushalt für das kommende Jahr auf die Beine stellen.

Auf grosse Unternehmen mit hohen Gewinnen und besonders wohlhabende Bürger sollten Steuererhöhungen zukommen, sagte Barnier. Es gehe um «einen aussergewöhnlichen Beitrag für die reichsten Franzosen». Konkret wurde er dabei nicht. Barnier kündigte zudem Einsparungen bei öffentlichen Ausgaben und mehr Effizienz an.

Barnier lässt sich nicht aus der Ruhe bringen

Als Prioritäten seiner Regierung sieht der neue Premier einen besseren Zugang zu öffentlichen Diensten, einen höheren Lebensstandard für die Menschen in Frankreich, mehr Sicherheit, eine härtere Migrationspolitik und einen stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Äusserst enger Spielraum für Barnier

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Imago/Federica Pestellini

Der neue Premier Michel Barnier habe bei der Antrittsrede den alten weisen Mann gegeben, sagt der Journalist Rudolf Balmer in Paris. «Er sprach alle an: das Spitalpersonal, die Seniorinnen, die Polizisten, die Feuerwehrleute. Und auch die Auslandsfranzosen, die Korsinnen und die Übersee-Gebiete hat Barnier nicht vergessen.»

Einfach werde es aber nicht für die Regierung Barnier, so Balmer. «Sein finanzieller Spielraum ist sehr eng – wie auch sein politischer Spielraum.» Ein erster Stolperstein könnte schon bald folgen, nämlich bei der anstehenden Budget-Debatte.

Präsident Emmanuel Macron seinerseits habe sich derweil offensichtlich vollständig von der französischen Innenpolitik verabschiedet und konzentriere sich voll auf die Weltpolitik. «Es entsteht der Eindruck, Macron tue dies womöglich mit dem Hintergedanken, dass er Barnier als Sündenbock opfern kann, falls dessen Minderheitsregierung nicht lange halten sollte», so Balmer.

Die Ökologie solle im Herzen des Regierungshandelns stehen und ein Motor der Industriepolitik sein. Neben Erneuerbaren wolle man die Entwicklung der Atomenergie entschieden weiter vorantreiben und auch neue Reaktoren bauen. An den Kontrollen an seinen Binnengrenzen wolle Frankreich festhalten.

Aus den Reihen der Linken, die gemeinsam mit Sozialisten, Grünen und Kommunisten bei der Parlamentswahl im Juli auf Platz eins gelandet waren, die absolute Mehrheit aber um etwa 100 Sitze verfehlten, kamen bereits in den ersten Minuten der Regierungserklärung Zwischenrufe.

Doch der mehrfache Minister und langjährige Politiker Barnier liess sich von den immer wiederkehrenden Einrufen nicht aus der Ruhe bringen.

Echo der Zeit, 1.10.2024, 18:00 Uhr ; 

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel