Darum geht es: Bangladesch ist in Aufruhr. In den letzten Tagen wurden bei Protesten gegen die Regierung Hunderte Menschen getötet und verletzt. Inzwischen hat Ministerpräsidentin Sheikh Hasina das Land fluchtartig in Richtung Indien verlassen. Die Protestierenden warfen Hasina vor, zunehmend autoritär zu regieren. Die politische Krise in Bangladesch betrifft auch die Textilbranche. Wegen der Unruhen wurden viele Nähfabriken vorübergehend geschlossen. Die Journalistin Nathalie Mayroth geht davon aus, dass sich die Lage in Bangladesch zunehmend stabilisiert – und dann auch die Fabriken wieder öffnen werden.
Wichtige Industrie: Die Textilindustrie gilt als Motor, der in Bangladesch in den letzten Jahren zu einem wirtschaftlichen Aufschwung geführt hat. Rund vier Millionen Menschen, vor allem Frauen, arbeiten in den mehr als 4500 Nähfabriken Bangladeschs. Die Textilindustrie ist eine der grössten Arbeitgeberinnen des Landes und der wichtigste Exportsektor Bangladeschs. Und so stammen denn auch viele unserer Kleider – seien sie von Adidas, H&M, Zara oder anderen – aus den Nähfabriken in Bangladesch. Manche der Marken erwägen nun, ihre Kleider vorübergehend in einem anderen Land nähen zu lassen.
Schlechte Arbeitsbedingungen: In der Vergangenheit ist es in Bangladesch immer wieder zu Protesten von Näherinnen gekommen, weil ihre Löhne extrem tief sind. So gilt sei 2019 ein Mindestlohn von umgerechnet etwas mehr als 80 Franken pro Monat – viele Arbeiterinnen verdienen kaum mehr als diesen Mindestlohn, der kaum existenzsichernd ist. Und so haben sich denn auch bei den aktuellen Protesten auch Angestellte aus der Textilbranche an den Protesten beteiligt. «Das zeigt, dass es in Bangladesch eine allgemein verbreitete, tiefe Unzufriedenheit in der Bevölkerung gibt», so die Journalistin Mayroth, die sich derzeit im indischen Delhi befindet.
Es gibt in Bangladesch eine allgemein verbreitete, tiefe Unzufriedenheit in der Bevölkerung.
Zu wenig zum Leben: Die Löhne sind also sehr tief. In den letzten Jahren kam überdies eine hohe Inflation hinzu, ohne dass der Verdienst in gleichem Mass gestiegen wäre. «Für Lebensmittel muss inzwischen fast doppelt so viel bezahlt werden, wie noch vor wenigen Jahren», stellt Mayroth fest. Und so entwickelte sich aus der Gemengelage der unzufriedenen Studenten wegen umstrittener Quoten für Beamtenstellen, den schlechten Arbeitsbedingungen der Näherinnen und der zunehmend autoritär regierenden Hasina die grossen Proteste, die bislang rund 300 Tote gefordert haben sollen.
Textilfirmen bewegen sich: Im Verlauf der jüngsten Proteste signalisierten einige der internationalen Kleiderfirmen, dass sie bereit wären, mehr für die in Bangladesch genähten Kleider zu bezahlen. «Man muss allerdings abwarten, wie sich das entwickelt», sagt Mayroth, die seit Jahren über die Textilindustrie in Bangladesch berichtet. Schlecht wäre es, wenn wegen der Proteste nun manche westliche Marken ihre Aufträge aus dem Land abziehen würden, denn dann hätten viele Frauen gar keine Arbeit und kein Einkommen mehr, so die Journalistin.