Deutschland im Herbst 2024: Die Ampel flackert im Nebel, am rechten Rand gärt es und im Bundestag wird gestritten. Auch heute wieder: Denn im Parlament wird über das «Sicherheitspaket» beraten. Klingt technokratisch, im politischen Berlin dürfte es aber ein mittelschweres Erdbeben auslösen.
Die Debatte könnte zum Kulminationspunkt monatelanger, gehässig geführter Auseinandersetzungen werden – und der Ampel endgültig den Stecker ziehen.
Fundamentalopposition der Union
Der Hintergrund: Nach brutalen Messerattacken, die im Terror von Solingen ihren traurigen Höhepunkt erreichten, will die Regierung das Waffenrecht verschärfen. Vorgesehen sind auch Leistungskürzungen für ausreisepflichtige Asylbewerber und mehr Kompetenzen für die Sicherheitskräfte im Kampf gegen islamistischen Extremismus.
Friedrich Merz, der designierte Kanzlerkandidat der Unionsparteien CDU/CSU, formulierte nach dem Attentat von Solingen einen rigiden Forderungskatalog – unteren anderem mit dauerhaften Grenzkontrollen und einem Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan.
Die oppositionelle Union hat bereits deutlich gemacht, dass die aus ihrer Sicht ohnehin nicht ausreichende Vorlage von den Ampel-Fraktionen noch weiter verwässert worden sei, sodass sie dem Vorhaben nicht zustimmen könne.
Wie viel Autorität hat Olaf Scholz noch?
Für Scholz’ zerstrittene Ampelkoalition heisst das, dass sie sich geschlossen hinter das Gesetz stellen muss. Abweichler in den eigenen Reihen könnten es zum Absturz bringen – und gleich die ganze Regierung mit sich reissen, wie die Politikjournalistin Claudia Kade ausführt: «Das Bündnis aus Sozialdemokraten, Grünen und FDP stünde dann vor dem Aus.»
Es wäre eine wahnsinnige Blamage für Olaf Scholz, wenn er die Vertrauensfrage stellen müsste.
Es wäre der Supergau für Scholz: Erstmals würde der Kanzler keine eigene Mehrheit für ein Gesetzesvorhaben seiner Regierung zustande bringen. Die Leiterin der Politikressorts der «Welt» geht davon aus, dass Scholz in diesem Fall die «Vertrauensfrage» stellen müsste.
Klar ist: Es gibt Widerstände innerhalb der Koalition. Fraglich bleibt, ob sie derart gross sind, dass Abgeordnete der drei Parteien tatsächlich ein vorzeitiges Ende der Ampel riskieren. In Einzelgesprächen haben die Fraktionsspitzen von SPD, Grünen und FDP in den letzten Tagen versucht, potenzielle Abweichler auf Linie zu bringen. Ob es gefruchtet hat, wird sich weisen.
Sollte Scholz tatsächlich die Vertrauensfrage stellen müssen, wäre dies eine «wahnsinnige Blamage für den Kanzler», schätzt Kade. Denn im Anschluss an die Debatte im Bundestag empfängt der SPD-Kanzler den amerikanischen Präsidenten Joe Biden. Es wäre das Aufeinandertreffen zweier flügellahmer Regierungschefs, die mit gezwungenem Lächeln vor die Kameras treten.
Ein Ohnmächtiger umringt von Mächtigen?
Dazu stossen im Laufe des Tages auch noch der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Keir Starmer. Scholz müsste sich, wie die Kennerin des politischen Berlins schätzt, mit schwer beschädigtem Ruf in die Riege der Mächtigen einreihen. Eine Schmach vor den Augen der Welt.
Abschliessend wagt Kade eine Prognose für Scholz’ Schicksalstag: «Die Ampelkoalition durchlebt derzeit zwar eine Phase der Gereiztheit und der Nervosität.» Und es sei durchaus wahrscheinlich, dass sie noch vor Ende Jahr ausbrennt. «Ich glaube aber, dass sie diese Woche noch schaffen wird.»